Das Duo Fitzgerald & Rimini wurde 2005 von der Autorin Ariane von Graffenried (Fitzgerald) und dem Musiker Robert Aeberhard (Rimini) gegründet. Auf ihrem neuen Album verbinden sie Musik und Literatur zu einer Mischung, die zwischen die Ohren und ins Tanzbein fährt. Und sie verewigen acht «Störenfriedas»: einen Sexroboter etwa oder Madame Bovary aus Porrentruy. Das Stück «Walentina Tereschkowa» dreht sich um die erste Kosmonautin: «Us dr Ferni isch dir d Wäut / so nach wi nie.» Diese Beobachtung trifft auch aufs Hören dieser CD zu. Ihren Stücken fühlt man sich oft erst so richtig nahe, wenn sie verstummt sind und man sich an seine Lieblings-Passagen erinnert. Zwischen Text, Musik und «Störgeräuschen» gibt es vieles zu entdecken – ein Album zum immer wieder Hören.
kulturtipp: Wie kommt es zur eigenwilligen Mischung von Charakteren auf dem neuen Album?
Ariane von Graffenried: Wir haben uns gefragt: Wer stört wann und warum? Das hängt bei den Geräuschen wie bei den Frauen in unseren Geschichten vom Kontext ab – von einer Epoche oder einem politischen System. Ausgehend davon habe ich nach bekannteren und weniger bekannten historischen und fiktiven Charakteren gesucht.
Und wie kommts zu den «Störgeräuschen»?
Robert Aeberhard: Störgeräusche sind physikalisch von «normalen» Geräuschen nicht zu unterscheiden. Sie werden als störend definiert. Warum das eine als störend bezeichnet wird und das andere als nicht störend – das ist es, was uns interessiert.
Ihre Texte handeln von Wild-West-Heldinnen oder von Mary Mallon, die am Anfang des 20. Jahrhunderts Leute mit Typhus ansteckte, ohne selbst Symptome zu spüren. Warum haben Sie keine aktuellere «Störenfriedas» gewählt?
Von Graffenried: Wegen der historischen Verfremdung. Mich interessierte die Frage: Was haben diese historischen Frauen mit heute zu tun?
Und was hat Auguste Wenzel mit heute zu tun?
Von Graffenried: Wenzel kam bei der März-Revolution 1848 um. Sie war Näherin. Zu ihrer Zeit kamen Nähmaschinen auf. Sie hätte also Grund gehabt, um ihren Job zu fürchten. So viel weiss ich. Doch ob sie auf einer Barrikade stand oder von einem Querschläger getroffen wurde? Keine Ahnung. Das öffnet mir literarisch den Raum, um mir den letzten Tag in ihrem Leben vorzustellen und darin meine eigenen und unsere heutigen Handlungsmöglichkeiten auszuloten.
Warum sind Ihre Lieder so lange? Das kürzeste dauert 5:10 Minuten, das längste 11:20.
Von Graffenried: Die Länge ist auch eine Art von Störung – eine Störung der Hörgewohnheiten. Abgesehen davon kann man sich ruhig etwas Zeit nehmen, wenn man ein ganzes Leben erzählt.
Aeberhard: Nur im Pop-Genre sind die «Spielzeiten» so kurz. Genres wie Jazz, Klassik oder Hörspiel kennen diese Beschränkung nicht.
Im Vergleich zu früheren Platten gibt es kein Hundebellen wie beim Stück «Witschi und Patschenko» und keinen so aggressiven Gesang wie im Refrain von «Bermondsey». Warum?
Von Graffenried: Unser Ziel war es, Ruhe in die CD zu bringen, sodass Musik und Text ineinander übergehen und sich abwechseln. Das braucht Platz, und so wurden unsere Stücke länger und ruhiger.
Was ist das Wichtigste, was Sie seit dem ersten Album erreicht haben?
Aeberhard: Die Entwicklung zur Verdichtung, dass sich Text und Musik mehr abwechseln und mehr Platz lassen. Beim letzten Album war das immer sehr gleichzeitig. Jetzt haben wir versucht, ein Nacheinander zu haben.
Von Graffenried: Das literarische Einfangen verschiedener Leben und das Schaffen passender musikalischer Stimmungen ist besser geworden.
Ist Ihr neues Album eher pessimistisch oder optimistisch?
Von Graffenried: Was ist Ihr Eindruck?
Mich hats zuversichtlich gestimmt! Als dann aber die Zeile kam: «In myths and movies they trust / because they must» hat sich das relativiert.
Aeberhard: Das Wichtigste ist das Hinterfragen. Dadurch wird ein Raum geöffnet, in dem das Optimistische ebenso Platz hat wie das Pessimistische. Das Leben ist ja selten nur das eine oder das andere. Und die Leben, von denen hier die Rede ist, schon gar nicht.
Von Graffenried: «In myths and movies they trust» – da nehme ich mich nicht aus. Ich war in meiner Kindheit auch geprägt von US-Filmen und -Mythen.
Wie wichtig ist das Unterwegssein für Ihr Schreiben?
Von Graffenried: Sehr. Entdeckungen mache ich nicht nur am Schreibtisch.
Und wie wichtig ist es für Ihre Kompositionen?
Aeberhard: Um Ideen zu sammeln oder Geräusche, ist es sehr wichtig. Für die eigentliche Arbeit brauche ich aber meine Arbeitsumgebung, die Instrumente und Geräte.
Sind Sie Perfektionisten?
Aeberhard: Klar. Wir haben Freude am Detail und am Ausarbeiten. Den Sachen auf den Grund zu gehen, ist uns ein grosses Bedürfnis. Es muss nicht alles perfekt sein, aber eine grosse Sorgfalt muss auf jeden Fall dahinterstehen.
Von Graffenried: Ja. Unsere Arbeit macht uns grosse Freude, und zugleich nehmen wir sie sehr ernst.
Auftritte
So, 13.10., 20.30 beeflat im Progr Bern
Mi, 23.10., 21.00 Helsinki Klub Zürich
Fr, 8.11., 22.00 Gallery Basel
Mi, 13.11., 20.30 Neubad Luzern
Weitere Tourneedaten: www.fitzgeraldrimini.ch
Buch mit CD
Fitzgerald & Rimini
50 Hertz
Buch mit CD
(Der gesunde Menschenversand 2019)