kulturtipp: André Schürmann, Spoken Word umfasst alle möglichen Formen gesprochener Literatur. Es fallen immer wieder die Begriffe Poetry Slam und Slam Poetry, die für viel Verwirrung sorgen. Was ist was?
André Schürmann: Poetry Slam ist das Bühnen-Format des Wettbewerbs. Vor genau 30 Jahren hat es Marc Smith in Chicago erfunden. Das gibt es übrigens immer noch: Jeden Sonntag findet im Chicagoer Jazzclub Green Mill ein Poetry Slam statt. Fix vorgegeben sind ein paar Regeln: Die Dauer beträgt meist sechs Minuten. Man darf keine Hilfsmittel benutzen wie Requisiten oder Musik, und das Publikum ist die Jury in diesem Dichter-Wettstreit. Selbstverständlich ist ein eigener Text vorzutragen. Slam Poetry dagegen ist der Begriff für jene Formen von Literatur, die auf einer Bühne performt werden – ohne einen Wettbewerb.
Wie so vieles schwappte Spoken Word mit Verzögerung nach Europa über.
Genau. Poetry Slam etwa ist in Deutschland stark vertreten, ebenso in Frankreich. In der Schweiz ist seit nunmehr 15 Jahren eine rege Spoken-Word-Szene zu beobachten. Der Luzerner Verlag Der gesunde Menschenversand machte früh Aufnahmen auf CDs verfügbar; mittlerweile gibt es auch die Buchreihe «Spoken Script». In Luzern programmiert die Lesebühne Loge seit 10 Jahren Spoken Word. Die Reihe Barfood Poetry startete im Jahr 2001 und wird nun quasi zum neuen Festival Woerdz umgewandelt.
Luzern ist so gesehen ein kleines Zentrum, eine Hochburg für Spoken Word?
Nur was die Vermittlung angeht. Die «Praktiker» stammen aus anderen Landesgegenden, etwa aus Bern oder der Ostschweiz.
Auffällig in der Schweizer Szene ist die Dominanz der Mundart und besonders des Berner Dialekts. Wie erklärt sich das?
Es ist wie beim Phänomen Berner Mundartrock. Man kann eine literarische Traditionslinie ziehen, von Jeremias Gotthelf über Robert Walser bis zu Friedrich Glauser, die in ihre schriftdeutschen Texte Mundart streuten. Dann kamen Mani Matter und die neuen Mundartpoeten wie Ernst Eggimann oder Kurt Marti. Der Berner Dialekt gefällt, er ist sympathisch. Eine ideale Sprache für das Klangpoetische.
Die Mundart kommt auch bei einer neuen Generation von Spoken-Word-Autoren an?
Im Moment ist eine starke Tendenz zur Mundart zu beobachten. Das hat sicher mit den «Bern ist überall»-Leuten zu tun, wo übrigens auch der Bündner Arno Camenisch mittut. Sie haben einen Einfluss auf eine jüngere Generation von Spoken-Word-Autoren und tragen zur aktuellen Blüte bei.
Spoken Word gibt es auf Tonträgern, in Büchern, im Radio und Fernsehen. Besteht die Gefahr, dass es in die Comedy-Schublade gesteckt wird?
Vor allem beim publikumswirksamen Format Poetry Slam geht es in Richtung Klamauk und Comedy, dann springen natürlich auch die Medien auf diesen Zug.
Wieso braucht es ein eigenes Festival für Spoken Word, wenn die Szene ohnehin blüht?
Wir wollen eine Werkschau bieten und den Status quo von Spoken Word in der Schweiz repräsentativ abbilden – mit Auftritten von fast allen wichtigen Schweizer Vertretern. Wir wollen auch neue Projekte anstossen, etwa mit dem CHicaGO-Projekt: Je drei US-amerikanische und Schweizer Autoren und Performer werden eine Woche lang in einer Villa in Luzern «eingesperrt» mit dem Ziel, ein gemeinsames zweisprachiges Programm am Festival zu präsentieren.
Der «Nachwuchs» kommt nicht zu kurz?
Der Vermittlungs- und Fördergedanke ist uns wichtig. An einer Kantonsschule haben wir Workshops mit Hazel Brugger, Guy Krneta und Greis als Coaches durchgeführt. Fünf Schülerinnen und Schüler bestreiten im Festival mit ihren Texten das Vorprogramm, quasi als «Baby-Slammer». Zusätzlich gibt es ein Kinder-Programm.
Man fragt sich, was die Rocksängerin Patti Smith als prominenter Gast bei «Woerdz» verloren hat.
Wir haben Patti Smith als Dichterin eingeladen. Das war sie ja, bevor sie als Sängerin und Musikerin anfing. Und sie ist es immer noch. Wenn sie mit der elektrischen Gitarre noch etwas Musik macht, stört das niemanden … Aber es ist sicher kein Konzert. Sie hat uns mitgeteilt: «I’ll make it special.» Für sie ist es eine besondere Situation, denn das hat sie neben ihren Konzertauftritten nicht im Repertoire. Ein Kreis schliesst sich auf schöne Art: Patti Smith wurde in der Poetry-Slam-Pionierstadt Chicago geboren.
Woerdz – Das Spoken Word Festival
Mi, 15.10.–So, 19.10.
Kleintheater/Südpol Luzern
www.woerdz.ch
Woerdz am Radio
«Spasspartout»: Woerdz
Querschnitt zum Festival
Mi, 29.10., 20.03 Radio SRF 1