Natürlich könnte die aktuelle Häufung an labilen Mannsbildern im Kino Zufall sein. Dass dem nicht so ist, lassen indes die Art, der Grad und die Häufigkeit der Verunsicherung erahnen. Zum Beispiel Gerd Lunies (Hans-Uwe Bauer). Im deutschen Familiendrama «Sterben» läuft der Senior meist ausschliesslich mit einem Hemd bekleidet durchs Bild. Er hat Parkinson und kann nicht mehr mit seiner Frau (Corinna Harfouch) zusammenleben, weil diese ebenfalls beeinträchtigt ist. Im Heim bleiben will er aber nicht, und wenn mal Besuch kommt, zieht er einen Ordner hervor, in dem ein paar Zettel abgeheftet sind, auf denen kein Buchstabe steht.
Zwei Männer versuchen, sich über Wasser zu halten
Diesem statischen Mann zuzusehen, wie er sich krampfhaft über Wasser zu halten versucht in einer ihm fremd gewordenen Welt, hat etwas Sisyphusartiges. Aber damit ist Gerd nicht allein. Auch Komponist Bernard (Robert Gwisdek), der sich in Matthias Glasners Film als Schöpfer der titelgebenden Musikkomposition «Sterben» verausgabt, kämpft gegen innere Dämonen – und gegen Musikerinnen und Musiker, die ihn nicht verstehen. Bernard ist von aufbrausender Natur, aber in ihm steckt ebenfalls eine tiefe Verunsicherung, eine ihn zerfressende Angst vor der eigenen Kunst.
Solche Rollen – beide Darsteller wurden für den Deutschen Filmpreis nominiert, Bauer gewann – zeigen ein angeknackstes Männerbild, das über eine herkömmliche Verzweiflung hinausgeht. Gerade in Krisenzeiten neigt das Kino dazu, das männliche Geschlecht mit seinen Schwächen zu zeigen. Das war insbesondere zum Ende des Zweiten Weltkriegs so, als die Femmes fatales auf der Leinwand das Zepter übernahmen.
Die verdruckste Zurückhaltung in Person
Heute, nach MeToo und Corona, ist inmitten von politischen und klimatischen Krisen die Ausgangslage eine andere, die Angst davor, nicht zu genügen, gross. Was gilt noch als männlich, was ist schon toxisch? Und wo verläuft die Trennlinie zwischen Einfühlungsvermögen und Entscheidungsschwäche?
Dass solche Fragen bis jetzt zu wenig verhandelt wurden, zeigt sich an der aktuellen Häufigkeit von verunsicherten Männerfiguren. Zum Beispiel beim Familienvater Adam (Florian Lukas) im Schweizer Drama «8 Tage im August»: In den Ferien in Apulien ist er die verdruckste Zurückhaltung in Person, was sich besonders ungünstig auswirkt, als sein Sohn auf dem Heimweg vom Strand einen Schwächeanfall erleidet und umkippt. Da steht Adam einfach wie festgefroren daneben. Erst als die Mutter (Julia Jentsch) eingreift, kommt Adam wieder zur Besinnung. Mit einem klassischen Heldenauftritt hat das nichts mehr zu tun.
Der Mann wird zum Kinderersatz
Oder dann das japanische Drama «Love Life»: Da stemmt sich ein Schwiegervater dagegen, sein uneheliches Enkelkind anzuerkennen. Als dieses durch einen Unfall stirbt, überschlagen sich die Ereignisse: Unvermittelt taucht der halbkoreanische Kindsvater (Atom Sunada) an der Beerdigung auf, schlägt der trauernden Mutter ins Ge- sicht und ist dann doch auf ihre Hilfe angewiesen, weil er nicht nur gehör-, sondern auch obdachlos ist. Der Mann wird somit zum pflegebedürftigen Kinderersatz. Selten war eine Trauerkonstellation verstörender anzusehen.
Nochmal anders tritt der verlorene Mann im US-Drama «Memory» des mexikanischen Regisseurs Michel Franco auf. Der Film beginnt mit einem vermeintlichen Stalking: Nach einem Klassentreffen läuft Saul (Peter Sarsgaard) der alleinerziehenden Sozialarbeiterin Sylvia (Jessica Chastain) bis vor ihre Haustüre nach wie ein Hund. Dort übernachtet er und muss am Morgen von seinem Bruder abgeholt werden. Später wird Sylvia Saul beschuldigen, dass er sie damals in der Schule missbraucht habe. Er schaut hilflos lächelnd vor sich hin. Was ist wahr, was Behauptung? Und was ist überhaupt los?
«Memory» untersucht in ebenso unterkühlter wie mitfühlender Art das Verhältnis der Geschlechter, weil beide mit Erinnerungsproblemen zu kämpfen haben. Er ist demenzkrank, sie trockene Alkoholikerin, und wenn sich die beiden gegenüberstehen, herrscht oft Sprachlosigkeit. Doch gerade in diesen Pausen ist der männliche Part besonders ergreifend, weil Saul die Gegenwart nur mehr staunend begreift. Wie ein Schlafwandler steuert er durch das Jetzt. Saul sieht und weiss, was Sylvia ihm bedeutet, aber er kann nicht verhindern, dass sie ihre eigene Familiengeschichte aufarbeiten muss und er selbst immer wieder in der Nachbarschaft verloren geht. Eine Beziehung begünstigt das nicht unbedingt.
Der Stoff aus dem zukünftige Helden sind?
Aber vielleicht ist es gerade das, was den modernen Antihelden im Kino auszeichnet: dass er erstens keine Ahnung hat, wohin es ihn treibt. Dass er zweitens nicht versucht, mit Kampfstrategien zum Ziel zu kommen, denn Aufgeben ist die näherliegende Option. Und dass er drittens seine Ängste und Schwächen mit einer bemerkenswerten Konsequenz auszudrücken vermag. Aus diesen Voraussetzungen lassen sich vielleicht sogar zukünftige Helden formen.