«Ich war immer zu schüchtern fürs Schultheater, aber jetzt habe ich meine Bühne gefunden», sagt Gary Johnson (Glen Powell). Er unterrichtet in Houston als Philosophieprofessor auf Collegestufe und arbeitet teilzeitlich als Abhörspezialist fürs FBI – allerdings nur bis zu jenem Tag, an dem sein Lockvogel-Kollege Jasper (Austin Amelio) wegen Fehlverhaltens beurlaubt wird.
So muss Gary Hals über Kopf dessen Aufgabe übernehmen und als vermeintlicher Killer potenziellen Auftraggebern Geständnisse entlocken, um sie hinter Gitter zu bringen. Das Naturtalent Gary erledigt diese Aufgabe mit allerlei Verkleidungen und Akzenten fortan immer begeisterter.
Klingt zu verrückt, um wahr zu sein? «Hit Man» bleibt zunächst sehr wahrheitsgetreu an den Recherchen des Journalisten Skip Hollandsworth, der den echten Gary Johnson im Magazin «Texas Monthly» 2001 als «Laurence Olivier seiner Zunft» geadelt hatte. Schon einmal lieferte Hollandsworth eine Filmvorlage für Regisseur Linklater – für die launige Kleinstadtmoritat «Bernie» (2009).
Ein Altmeister des unabhängigen Films
In «Hit Man» dreht sich nun alles um Fragen der Identität: Welche Rolle spiele ich in meinem Leben? Und was, wenn Zufälle diese Identität durcheinanderbringen? Genau das doziert Johnson nicht nur vor seinen Studenten, es trifft auch den Kern des filmischen Schaffens von Linklater, der als einer der wichtigsten amerikanischen Independent-Regisseure gilt.
Der 63-jährige Texaner ist ebenso sehr Romantiker wie Realist, ein Wanderer zwischen den Genres, ein Ausdauerkünstler und ausserdem dafür bekannt, sehr eng mit seinen Schauspielerinnen und Schauspielern zusammenzuarbeiten.
Seine mit «Before Sunrise» (1995) beginnende Liebestrilogie beglückte dank Ethan Hawke und Julie Delpy als zauberhafte Langzeitintimität. «Boyhood» (2014) wiederum überraschte als fiktionales Dokument über das Heranwachsen eines Knaben während 12 Jahren.
«Top Gun»-Darsteller in der Hauptrolle
Für «Hit Man» hat Linklater nun abermals einen aussergewöhnlichen Genrezugang gefunden: Zusammen mit Hauptdarsteller Glen Powell («Top Gun: Maverick») spinnt er die kriminalistische Biografie von Gary Johnson als fiktive Romanze weiter: Als eine «Kundin» namens Madison (Adria Arjona) ihren unerträglichen Gatten beseitigen lassen will, bringt Gary sie von diesem Vorhaben ab, nur um sich privat mit ihr treffen zu können – wo er die Rolle des «tough guy» allerdings weiterspielen muss.
Bloss merkt Gary lange nicht, dass Madison das Maskenspiel ebenfalls exzellent beherrscht. Dass diese slapstickartige Liebesgeschichte funktioniert, ist nicht selbstverständlich, hatte sich Linklater in seinen letzten Filmen doch des Öftern mal verschätzt. «Hit Man» ist nun aber ein grandioses Power-Pingpong mit herrlichen Doppelbödigkeiten geworden – auch und gerade dank den hervorragend harmonierenden Hauptfiguren, denen man sogar einen notfallmässigen Mord verzeiht (den der echte Gary Johnson nicht begangen hat).
Hit Man
Regie: Richard Linklater, USA 2023
115 Minuten, ab Do, 15.8.