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Schneetreiben, irgendwo in Neuengland um 1970. Die letzten Zeugnisse werden verteilt, der letzte Gottesdienst abgehalten. Dann leert sich das Knabeninternat.
Aber halt, es gibt da noch ein paar privilegierte Söhnchen, die es nicht ins nächste Semester geschafft haben. Und da ist ein aufbrausender Jungspund namens Angus (Dominic Sessa), der über Weihnachten ebenfalls nicht nach Hause darf, weil dessen Mutter mit ihrem neuen Mann allein sein möchte. Kann die Situation desolater sein?
Paynes Obsession sind die menschlichen Defizite
Gut, in den Filmen von Alexander Payne ist die Ausgangslage fast immer betrüblich, spätestens seit Jack Nicholson in «About Schmidt» als miesepetriger Witwer zu einer Reise quer durch die USA aufbrach. Paynes Obsession sind die menschlichen Defizite, die er mit Vorliebe an mehr oder minder erwachsenen Lotterbuben erläutert.
Dabei geht es weniger um Blossstellung, als vielmehr um die Conditio humana, die er mit trockenem Humor und in erzählerischer Unaufdringlichkeit ergründet. Für Dramen wie «Sideways», «The Descendants» oder «Nebraska» gab es dafür haufenweise Oscarnominationen. Auch «The Holdovers» ist ein klassischer Payne-Film, obwohl das Drehbuch diesmal von David Hemingson stammt. Die Handschrift des Regisseurs ist unverkennbar. Etwa, wenn ein Knabe einen einzelnen Handschuh in den Fluss schmeisst, weil ihm der andere geklaut wurde.
Oder wenn der Internatsrektor den Geschichtslehrer Paul Hunham (Paul Giamatti) anfleht, er möge wenigstens so tun, als sei er ein menschliches Wesen. Es sei schliesslich Weihnachten. Hunham gefällt sich jedoch als fleischgewordener Starrsinn und nervt seine Umwelt lieber mit sarkastischen Schnippischkeiten. Schielend und nach Fisch stinkend ist er gleichermassen unbeliebt bei Schülern und Lehrerkollegen, doch ihm obliegt es, die übrig gebliebenen Schüler über Weihnachten zu betreuen.
Wobei wegen Last-Minute-Aktionen verschiedener Eltern irgendwann nur noch einer bleibt: der aufmüpfige Angus.
Intensivstudie in Sachen Einsamkeit
Spätestens da ist Paynes Film kein gruppendynamischer Motivationskurs à la «Dead Poets Society» mehr, sondern eine Intensivstudie in Sachen Einsamkeit. Oder wie es Hunham formuliert: «Das Leben ist wie eine Hühnerleiter: verschissen und kurz.»
Umso mehr müssen sich er, Angus und die um ihren in Vietnam gefallenen Sohn trauernde Köchin Mary (Da’Vine Joy Randolph) zusammenraufen, um sich in den leeren Gängen nicht vollends abhandenzukommen. Vor allem aber müssen sie sich mit ihrem Selbsthass und anderen Schwächen arrangieren. Das Erstaunliche: Payne bringt dieses Trio ganz unangestrengt zusammen. Ohne Kitsch, mit viel Gefühl und fiesen Sprüchen.
Und das Beste ist, dass der 62-jährige Regisseur «The Holdovers» dank Tricks aus der Postproduktion sowie einem sanft dahersäuselnden Soundtrack wie eine vergessene Trouvaille aus den 70ern wirken lässt. Inklusive Körnigkeit und vermeintlicher Kratzer auf der Filmrolle. Da geht einem unweigerlich das Herz auf.
The Holdovers
Regie: Alexander Payne, USA 2023
133 Minuten, ab Do, 25.1., im Kino
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