Weihnachten hat sie sich definitiv anders vorgestellt: Die junge, alleinerziehende Mutter Niina (Oona Airola) stapft irgendwo in Lappland durch den Schnee, um ein Tännchen umzusägen. Aber auf der Rückfahrt löst sich plötzlich der Anhänger und donnert mitsamt Christbaum ins Fenster des Büros der örtlichen Lokalzeitung. Was nun?
In ihrer Verzweiflung bietet die mittellose Niina dem Chefredaktor Esko (Hannu-Pekka Björkman) an, für seine Zeitung zu schreiben, um die Schulden abzuarbeiten. Was sie denn vorweisen könne? Sie habe früher mal Lyrik für ein Pferdeheft verfasst, meint Niina treuherzig.
«The Missile» der finnischen Regisseurin Miia Tervo beginnt als Komödie um eine Protagonistin, die als verdruckste Schwester von Forrest Gump durchgehen könnte und die sich als gutgläubige Seele fast alles von fast allen gefallen lässt. Auch von ihrem gewalttätigen Ex-Mann Tapio (Tommi Eronen), der gerade im Knast sitzt.
Eine Beziehung für eigennützige Zwecke
Immerhin lässt sich Esko erweichen, dass Niina für sein Käseblatt schreibt. Auch wenn er zu bedenken gibt, dass der meistgelesene Beitrag des Vorjahrs derjenige über eine Socke gewesen sei, die während eines Fischereiwettbewerbs in ein Eisloch fiel.
Aber dann hört Niina eines Abends einen lauten Knall am Himmel. Bald darauf strömen finnische Militärs und Journalisten ausgerechnet in jenes Hotel, in dem ihre Schwester Kaisa (Emma Kilpimaa) Hochzeit feiert und wo der erboste Vater wegen eines Modern-Talking-Songs auf den Kassettenrekorder kackt.
So bringt «The Missile» auf skurrile Art Drastik und Dramatik zusammen – und Emotionen, als Niina den attraktiven Militärpiloten Kai (Pyry Kähkönen) kennenlernt, von dem sie sich indes nicht nur Zuneigung erhofft, sondern auch Infos über eine mutmasslich abgestürzte russische Rakete mit Atomsprengkopf. Dass Esko ihr rät, doch lieber über den Taxifahrer zu schreiben, der die Militärs chauffiert, ist da nicht nur ein beiläufiger Witz, sondern die Essenz dieser Tragikomödie: Probleme, die nicht diskutiert werden, gibt es nicht.
Flächendeckende Duckmäuser und mehr
Dabei findet das Wegsehen sowohl auf privater wie auch auf weltpolitischer Ebene statt. Doch Niina, die nonstop von ihrem Umfeld erniedrigt wird, legt ausgerechnet dann an Selbstbewusstsein zu, als sie dem von den finnischen Behörden totgeschwiegenen Raketenabsturz auf den Grund geht.
So bringt Regisseurin Miia Tervo in «The Missile» den Kalten Krieg mit einer ungewöhnlichen Emanzipationsgeschichte zusammen. Das Grauen entspringt da nicht nur einem flächendeckenden Duckmäusertum, sondern auch ein wenig jenen Vokuhilafrisuren aus den 80ern, die prominent ins Bild gerückt werden.
Zum Beispiel bei Niinas Ex-Mann, der vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird und verlangt, wieder bei ihr einzuziehen. Aber dann kommt alles anders, und man könnte sagen: Dieser Film würde auch einem Aki Kaurismäki zur Ehre gereichen, wenn er sich eine feministische Narrenkappe aufgesetzt hätte.
The Missile
Regie: Miia Tervo
Finnland/Estland 2024
114 Minuten
Ab Do, 12.12., im Kino