Sie treffen sich am Flughafen: David (Jesse Eisenberg) und sein Cousin Benji (Kieran Culkin) wollen nach Polen, um ihren jüdischen Wurzeln nachzuspüren. Dafür schliessen sie sich einer kleinen Reisegruppe an, die unter anderem das Konzentrationslager Majdanek besucht, einen Ort, in dessen Nähe ihre kürzlich verstorbene Grossmutter, eine Holocaust-Überlebende, aufgewachsen war.
Das klingt nach viel historischer Bürde und erzählerischem Ballast. Aber Eisenberg, der in «A Real Pain» auch als Drehbuchautor und Regisseur fungiert, macht daraus etwas anderes – einen Film, der mit leichter Hand und Humor von den Lebensentwürfen und -krisen zweier 40-jähriger US-Amerikaner erzählt, die sich auseinandergelebt haben.
Das fängt schon bei der Vorstellungsrunde der Reisegruppe an, in der sich die unterschiedlichen Charaktere herausschälen. David ist der hibbelige Kontrollfreak, der es zu einem Mittelklasseleben inklusive junger Familie gebracht hat. Sein ehemaliger «best buddy» Benji erscheint dagegen aufbrausend, orientierungslos, provokativ und enorm charmant, was in dieser Kombination zu heiklen Situationen führt.
Basierend auf realen Erlebnissen
Bemerkenswert ist in «A Real Pain» vor allem, wie clever Jesse Eisenberg sein Roadmovie steuert: Als Darsteller nimmt er sich so weit zurück, dass Culkin als Wildfang glänzen kann. Nur einmal – als David der Gruppe gesteht, wie sehr er seinen Cousin liebt, hasst und beneidet –, dreht Eisenberg auf.
Ansonsten sind alle Augen auf Benji gerichtet. Zum Beispiel, wenn dieser so lange in Selfie-Manier vor einem Denkmal aus dem Zweiten Weltkrieg in Polen herumalbert, bis die ganze Gruppe mitmacht. Wer denkt, dass der Spasschaot nichts in der Birne hat, liegt jedoch falsch. Am besten zu sehen ist das bei einer Zugfahrt, als Benji komplett ausrastet: Es könne nicht sein, dass sie alle bequem in der ersten Klasse sitzen würden, wenn man doch wisse, was die Eisenbahn für Juden während des Holocaust bedeutet habe, sagt er.
So geht diese Reise auf unberechenbare Art weiter, wobei Benji einmal sogar den nicht-jüdischen Reiseleiter James (Will Sharpe) beschuldigt, bei seinen Erklärungen zu viele Statistiken zu bemühen, was das Gesamterlebnis schmälere. Selbst da hat er im Grunde recht, auch wenn seine Ausdrucksweise keinerlei Diplomatie beinhaltet.
Gerade das macht «A Real Pain» zum Erlebnis. Einerseits, weil Culkin sich als Benji immer wieder um Kopf und Kragen redet. Andererseits, weil die Geschichte angeblich auf realen Erlebnissen von Jesse Eisenberg beruht. Aber der geht damit nicht mit der grossen Pauke hausieren, sondern macht stattdessen diesen kleinen, feinen Film.
Ein Stein als kleines Zeichen des Besuchs
Als David und Benji schliesslich vor dem Haus ihrer Grossmutter stehen, möchten sie einen Stein dalassen, als kleines Zeichen ihres Besuchs. Doch ein Nachbar protestiert, das sei zu gefährlich, jemand könnte stolpern, worauf sich ein Gespräch entspinnt, das die Beiläufigkeitspoesie dieses Films wunderbar unterstreicht.
A Real Pain
Regie: Jesse Eisenberg
USA/Polen 2024, 90 Minuten
Ab Do, 16.1., im Kino