Vor 40 Jahren sorgten die Coen-Brothers erstmals für Aufsehen. Mit der beklemmenden Filmnoir-Hommage «Blood Simple» gewannen sie am kurz zuvor gegründeten Sundance Festival den Hauptpreis. Es war der Startschuss zu einer Karriere, die etwas vom Schrägsten und Schönsten beinhalten sollte, was man abseits von Hollywood finden konnte. Von «Barton Fink» bis «The Big Lebowski», von «Fargo» zu «No Country for Old Men»:
Joel und Ethan Coen bespielten die Genrepalette zwischen Thriller, Komödie, Drama und Western virtuos und wurden dafür mit mehreren Oscars ausgezeichnet. Inzwischen werden Filme, die ihren verspielten Zynismus zu imitieren versuchen, als «coenesque» bezeichnet. Nach dem letzten gemeinsamen Spielfilm «The Ballad of Buster Scruggs» (2018) trennten sich allerdings die Wege der Brüder. Joel widmete sich im Alleingang einer expressionistischtheatralen Filmadaption von Shakespeares «Macbeth».
Ethan wiederum, dem nach eigener Aussage der Spass am Filmemachen abhandengekommen war, nahm zunächst ein Sabbatical und drehte dann zusammen mit seiner Frau Tricia Cooke einen Dokumentarfilm über Jerry Lee Lewis. Nun doppelt das Ehepaar mit einem Spielfilm nach, der das bekannte Coen-Universum auf unvermutete Art erweitert.
«Drive-Away Dolls» handelt von der frisch getrennten Jamie (Margaret Qualley), die mit der introvertierten Marian (Geraldine Viswanathan) zwecks gegenseitiger Aufmunterung einen Roadtrip von Philadelphia nach Tallahassee, Florida, unternimmt. Aufgrund einer Verwechslung enthält ihr Mietwagen dann aber eine heikle Fracht, was prompt ein mental eher schlecht sortiertes Gangstertrio auf den Plan ruft.
Viel Frauenpower und Offenherzigkeit
Der Film, in den späten 90er-Jahren angesiedelt, ist unschwer als Hommage an die trashigen B-Movies der 70er-Jahre zu erkennen. Mit dem Unterschied, dass es in «Drive-Away Dolls» um lesbische Charaktere geht, die in den entsprechenden Klubs beherzt zur Sache gehen. Kurz: So viel Frauenpower und sexuelle Freizügigkeit war in einem Coen-Film noch nie zu sehen.
Was nicht zuletzt daran liegt, dass sich Coens Gattin, die mit ihrem Mann das Drehbuch geschrieben hat, tatsächlich als lesbisch versteht. So könnte man diesen Gangsterfilm, der sich zwischen Wand-Dildos und HenryJames-Lektüren bewegt, auch als cineastische Verneigung vor John Waters und Pedro Almodóvar verstehen. Einen durchgeknallteren Film wird man diesen Frühling jedenfalls lange suchen müssen. Bleibt die Frage, ob und wie es mit den Coen-Brothers weitergeht.
Laut einem Interview im «Empire»-Magazin soll Ethan inzwischen wieder mit Joel an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Ein gröberes Zerwürfnis ist demnach auszuschliessen. Und solo ausgetobt haben sich die Brüder inzwischen durchaus – wenn auch auf völlig unterschiedliche Weise.