Eine abenteuerliche Berggeschichte wird für einen Mann zur Expedition in die Tiefen eines Archivs, «wo die Luft so dünn ist, dass aus Denken Träumen wird …». Das ist die Rahmenhandlung des Hörspiels «Im Ausseralpinen» des Bieler Autors Patrick Savolainen. Radio SRF 2 Kultur strahlt diese Produktion im ordentlichen Programm aus, aber nicht nur: Das Zürcher Theater Winkelwiese lädt am Tag zuvor die Besucher ein, das Stück gemeinsam zu hören. Das Unterfangen ist gewagt, denn Schauspieler fehlen, das Publikum hört nur zu.
Die neue Reihe
«Zu Ohren kommen» ist eine neue Reihe mit Hörspielen von Radio SRF 2 Kultur. Die Redaktion sucht neue Wege, um fürs Hörspiel ein breiteres Publikum zu gewinnen. Findet die Idee Anklang, soll sie an anderen Orten ebenfalls verwirklicht werden.
Das Hörspiel gehört für die meisten heute nicht mehr zum Radioalltag wie vor 50 Jahren. Doch noch immer klingt «Hörspiel» wie ein schönes Versprechen. Es verheisst ein Spiel mit dem Hören, eine spielerische Inszenierung des Hörbaren oder das Spiel mit dem heiligen Ernst des Hörens. Und weil der Ausgang eines Spiels offenbleibt, verläuft der Hörweg spannend: Für gespitzte Ohren ein Lustspiel, das stets aufs Neue verlockt. Seit bald einem Jahrhundert behauptet es sich im deutschsprachigen Raum als ureigenste radiophonische Form im Dreieck von Literatur, Theater und Film, treibt die Handlung mit Worten, Musik und Geräuschen voran und erzeugt mit auditiver Energie das visuelle Erlebnis. Wir lauschen sehend.
Für den Erfolg braucht es ein professionelles Team, das über Erfahrung verfügt. Der Aufwand ist gross. Das Hörspiel zählt als Paradebeispiel zum Service public, nämlich zur Bereitschaft der öffentlich-rechtlichen Sender, Anspruchsvolles zu wagen und das Programm mit Substanz auszustatten.
Die Hörerschaft
Diese Pflichten erfüllt das Schweizer Radio mit der von Anina Barandun geleiteten Hörspiel-Redaktion erfreulich klar. Auch die Umkehrung trifft zu: Die Redaktion, die jährlich zwei Dutzend Hörspiele mit 18 festen und einer Reihe freier Mitarbeiter produziert, leistet einen starken Beitrag, damit die SRG auf einem kulturell wichtigen Feld dem Service public genügt.
Das Fragezeichen gilt der Hörerschaft, weil deren Struktur lediglich umrisshaft bekannt ist. Die ältere Generation stellt am Radio wohl die Mehrheit, während die jüngere eher das Internet wählen dürfte. Die Rückmeldungen sind spärlich. Es würde sich aufdrängen, die Hörerschaft zu erforschen, um genauer zu wissen, auf welche Resonanz der erbrachte Service public stösst.
Die Trends
Ermutigend ist, dass Autorinnen und Autoren in wachsender Zahl das Hörspiel als Ausdrucksform – und Einnahmequelle – entdecken. Dafür unternimmt die Redaktion gezielte Anstrengungen. Sie ist an der Thuner Künstlerbörse mit einem kleinen Festival-Studio vertreten und widmet den Oltner Kabarett-Tagen jeweils eine Live-Sendung. Die Solothurner Literaturtage wurden dieses Jahr zum zweiten Mal genutzt, um die Wahrnehmung des Radios als umsichtige Auftraggeberin und Produzentin im Literaturbetrieb zu steigern.
Das schlaue Prinzip, zum Hörspiel hinzuführen, indem es sich vom Radio entfernt, bestimmt auch den Plan, Hörboxen im öffentlichen Raum zu platzieren. In Literaturhäusern und dort, wo Menschen Zeit verplempern müssen – in Wartezimmern oder Wartsälen etwa –, sollen Hörspiele individuell abgerufen werden können. Der Trend vom konventionellen zum unkonventionellen Hören setzt sich fort. Er begann mit der Tonkassette und der CD.
Die Experimente
Die Redaktion nimmt diese Herausforderung an. Sie experimentiert mit neuen Formen und Techniken. «Headphone Surround» perfektioniert die Stereophonie und Quadrophonie. Ein erster Versuch klappte, bedeutet aber nicht den Durchbruch. Um in der Eroberung der Hörergunst attraktiv zu bleiben, erprobt die Redaktion einerseits Variationen der klassischen Hörspieldauer von 45 Minuten und anderseits den gestaltenden Einbezug des Auditoriums. Getüftelt wird mit Hilfe einer Game-Designerin an einem interaktiven Telefon-Hörspiel, bei dem das Publikum auf dem Regiestuhl sitzt.
Eines will die Redaktion ihrer Hörerschaft nicht abnehmen: die Notwendigkeit der gesammelten Zuwendung, damit die Hörspiele ihren Facettenreichtum entfalten können.
Hörspiele im Theater Winkelwiese Zürich
Di, 6.10., 20.00 (Vorpremiere)
«Im Ausseralpinen»
Im Anschluss Publikumsgespräch mit Patrick Savolainen (Autor) und Wolfram Höll (Regie)
Do, 5.11., 20.00 (Vorpremiere)
«Frau Higgins – Anstelle von Erinnerung»
Im Anschluss Publikumsgespräch mit Jens Nielsen (Autor) und Claude Pierre Salmony (Regie)