Fast alles an Ursina Gigers Geschichte passt klischeehaft zur jungen, weltgewandten Popmusikerin: ein musikbegeisterter Vater, Gesangsunterricht und später der unumgängliche Besuch einer Musikhochschule. Doch Ursina stammt nicht aus London, Paris oder New York, sondern aus dem Bündner Bergdorf Disentis.
Ihre Musik aber klingt nach der weiten Welt und gibt den damit verbundenen (Herz-)Schmerz auf schnörkellose Weise wieder. Dazu trugen sicherlich der Wegzug nach Luzern und der Besuch der dortigen Jazzschule bei. Ungleich bedeutender wirkte sich ein Studienjahr im skandinavischen Sehnsuchtsort auf die Musik der heute 31-Jährigen aus. «In Kopenhagen genoss ich viel freie Zeit neben dem Studium und konnte durch die vertiefte Auseinandersetzung mit mir selbst mein persönliches Songwriting entwickeln», sagt Ursina.
Wohlige Mischung zwischen Folk und Pop
Englisch sprechen war unumgänglich, der Austausch stärkte die treffsichere Ausdrucksweise in der – nach Romanisch und Deutsch – dritten Sprache. Ein Grossteil der entstandenen Songs floss in zwei EPs, die Ursina mit ihrer Band nach dem Studienabschluss veröffentlichte.
Anfang 2017 folgte mit «You Have My Heart» das Debütalbum, das bei keinem Geringeren als Drummer Pola Roy (Wir sind Helden) im Berliner Studio aufgenommen wurde. Ein befreundeter Musiker vermittelte den Kontakt, Roy war interessiert und lud die Band kurzum ein. Für Ursina ein wichtiger Schritt: «Ich brauche bei Aufnahmen Abstand zu meinem Umfeld und Zuhause, damit ich mich nicht ablenken lasse.» Berlin bot dies und ermöglichte es ihrer Band, gemeinsam und abgeschirmt am Album zu werkeln.
Dies ist dem Resultat anzuhören: Der Sound schwingt irgendwo zwischen warmem Folk, mit feinen Synthesizern versetztem Pop und feingliedrigen Singer-Songwriter-Elementen. Getragen wird diese wohlige Mischung von Ursinas zarter und dennoch kraftvoller Stimme, die den im Indiebereich so verbreiteten Schmerz auf unaufdringliche Weise zu transportieren vermag.
«Ersetzbar, langweilig, kontrastfrei», könnte der kritische Musikliebhaber einwerfen. Doch dies würde dem melancholischen Sound der Wahlzürcherin keinesfalls gerecht.
Songs über Liebe und Gesellschaft
Die Liebe ist zentrales Thema. Ursina sieht diese aber als weites Panorama: «Mitgefühl, Zusammensein und einen gemeinsamen Weg gehen gehören genauso zur Liebe dazu.» Stücke wie «Running» thematisieren die heutige Welt zwischen Überfluss und Flüchtlingsströmen. Mitunter klingen die glasklare Stimme und die von klassischen Elementen getragenen Arrangements fast zu perfekt, doch genau dies macht den Sound der Band aus.
Ursina singt neben Englisch auch in ihrer Muttersprache Romanisch. Bei diesen Songs, die etwa vom Verlust der kindlichen Leichtigkeit im Erwachsenenalter handeln, kommen die Gefühle der Sängerin am stärksten und schönsten zum Ausdruck. Und sie sind ganz ohne die Lyrics zu verstehen.
Konzerte
Do, 20.7., 20.00 Openair Lumnezia, Val Lumnezia GR
Sa, 29.7., 21.00 Bäckeranlage Zürich (kostenlos, anschliessend Brandy Butler & The Brokenhearted)
CD
Ursina
You Have My Heart (Radicalis/Soulfood 2017).