«Manche Menschen meinen, ich würde Blut zum Frühstück trinken, dabei tut es auch Tee», eröffnete Anna von Hausswolff schon mal trocken ein Interview. Sie kann sich solche Spässchen leisten, wird sie doch als Stern am Himmel der nordischen Düster-Sounds gefeiert. Die Sängerin, Pianistin und Songwriterin wandelt seit rund zehn Jahren zwischen nordischem Folk, Ambient, minimalistischem Drone, Kirchenmusik und Goth – ohne dabei den Pop-Ansatz zu verlieren. Bis jetzt jedenfalls. Auf ihrem Debüt «Singing From The Grave» (2010) schwang sie ihre Stimme noch in bester Kate-Bush-Manier in die Höhe und liess sich von einer Band begleiten, doch über die Jahre warf sie radikal Ballast ab. Auf ihrem Album «All Thoughts Fly» (2020) ist nun nur noch eines zu hören: die Kirchenorgel.
Unheilschwanger dröhnende Töne
Geht das gut? Ja! Klassische Melodien oder Rhythmen aber sucht man vergebens. Die Musikerin schafft eine dunkle Atmosphäre, entlockt dem imposanten Instrument tiefe Traurigkeit. Mal klackert der Anschlag, mal rauschen die Pfeifen. Schon seit ihrem Zweitwerk «Ceremony» arbeitet sie mit Orgeln, seit gut drei Jahren stehen diese kompositorisch im Zentrum. Das Experimentieren wurde der 34-Jährigen geradezu in die Wiege gelegt: Ihr Vater, der avantgardistische Klang- und Performance-Künstler Carl Michael von Hausswolff, arbeitet seit Jahrzehnten mit Drone- und Noise-Musik und taucht auch mal ganze Häuserzeilen in rotes Licht.
Auf zusätzliches Spektakel verzichtet die Tochter derweil: Während ihrer aktuellen Tour, die sie durch 17 Kirchen in ganz Europa führt, steht nur ihr Lieblingsinstrument im Zentrum. Verstärkt werden die unheilschwanger dröhnenden Töne der Kirchenorgel durch ein komplexes Lautsprechersystem. Als Inspiration für ihr Album diente von Hausswolff ein Besuch im Sacro Bosco, auch bekannt als Tal der Ungeheuer. Der verwunschene Skulpturenpark im italienischen Bomarzo wurde von Pier Francesco Orsini im 16. Jahrhundert für seine verstorbene Frau angelegt. «Es gibt dort eine Traurigkeit, eine Wildnis und eine Zeitlosigkeit, die mich dazu gebracht haben, dieses Album zu komponieren», sagte von Hausswolff in einem Interview. Aus Liebe zu Verstorbenen etwas zu erschaffen, wurde auch für die Musikerin zum Mantra.
Tod, Magie, Mythen, Rituale und Legenden ziehen sich durch ihr gesamtes Werk. Dieses changiert von hauchzart und federleicht bis zu ungestüm und zentnerschwer. Die Gefahr, in den Pathos abzugleiten, ist immer präsent. Doch darauf legt es die Musikerin mit ihren kolossalen Klangmonumenten geradezu an. Auch in der Berner Heiliggeistkirche und in Lausanne wird sie die Zuhörer mit düster-morbiden Stimmungen gefangen nehmen. Sporadisch aber zieht sie den Vorhang einen Spaltbreit auf, lässt gütig die milde Sonne reinblinzeln. Überwältigend ist das. Und schaurig-schön.
Konzert
Anna von Hausswolff
Mi, 1.12., 20.00 Heiliggeistkirche Bern
Fr, 3.12., 20.45 Eglise Saint-François Lausanne
CD
Anna von Hausswolff
All Thoughts Fly
(Southern Lord/Cargo 2020)