Ein Schicksalsjahr. 1938 marschierten die Nationalsozialisten unter Jubel in Wien ein, und der «Anschluss» Österreichs hatte für die Künstlerin Sophie Taeuber-Arp persönliche Konsequenzen. Ihr Bruder, der Münchner Antiquar Hans Taeuber, übernahm mit Hilfe der deutschen Reichskammer der Bildenden Künste ein jüdisch geführtes Antiquariat in Wien. Dabei half ihm der Maler und Nationalsozialist Adolf Ziegler, ein ehemaliger Gefährte der Künstlerin aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Die engagierte Antifaschistin Sophie Taeuber war ausser sich und brach mit ihrem geliebten Bruder. In jener aufwühlenden Zeit entstand das Werk «Composition dans un cercle», das dem Betrachter den Eindruck vermittelt, die Künstlerin versuche, Ordnung in eine auseinander- brechende Welt zu bringen.
Sophie Taeuber strebte stets nach Klarheit, nach einer nachvollziehbaren Struktur – sei es mit Farben, Textilien oder der Architektur. Dies macht die neue Ausstellung im Aargauer Kunsthaus deutlich, die unter dem Titel «Heute ist Morgen» sämtliche Schaffensphasen der Künstlerin dokumentiert.
Die künstlerisch intensivste Zeit erlebte Sophie Taeuber mit ihrem Mann Hans Arp in Strassburg. Das Paar litt ständig unter materieller Not, doch dort sollte sich das zumindest für eine Weile ändern. Sie erhielten den Auftrag zur Innengestaltung des Kulturzentrums Aubette, ein Traum für die Künstlerin: «Der Gedanke, Zimmer im Auftrag eines Architekten einzurichten, ist eigentlich der angenehmste», schrieb sie ihrer Schwester. Und gleichzeitig wusste die mit beiden Beinen im Leben stehende Künstlerin um den wirtschaftlichen Erfolg, der winkte: «Ich bin aber ganz überzeugt, unter 20 000 Francs ist nichts an der Aubette zu machen, und auch dann sollte festgelegt sein, was wir tun», liess sie ihren Mann Hans Arp wissen, der nie einen Gedanken an Geld verschwendete oder höchstens, wenn es ihm für seine grosszügigen Auslagen fehlte. Das schreibt die österreichische Autorin Roswitha Mair in ihrer kürzlich erschienenen Taeuber-Biografie «Handwerk und Avantgarde».
Das Projekt Aubette steht beispielhaft für das Leben von Sophie Taeuber-Arp – auch in seinen Konsequenzen. Sie nahm den Auftrag so ernst, dass sie den avantgardistischen holländischen Architekten Theo van Doesburg beizog, einen genialen Gestalter und raffinierten Selbstinszenierer. Er half beim Umbau der Aubette mit und nahm bei der Eröffnung 1928 die öffentliche Anerkennung für das Gesamtkunstwerk für sich allein in Anspruch. Ironie der Geschichte: Ein paar Jahre später war das Kulturzentrum verwahrlost, zumal das Haus mit seiner konkreten Kunst bei der Bevölkerung weniger Anklang fand als bei der Kritik. Für das Künstlerpaar Taeuber-Arp hatte sich der Einsatz dennoch gelohnt; sie konnten sich bei Paris ein Atelierhaus bauen, das sie allerdings nach dem Einmarsch der Deutschen 1940 in Frankreich verlassen mussten.
Der Preis für das kurze Glück war hoch: Die immer um materielle Sicherheit bemühte Sophie Taeuber pendelte regelmässig zwischen Strassburg und Zürich, wo sie als Lehrerin an der damaligen Kunstgewerbeschule tätig war. Und sie übernahm weitere Gestaltungsaufträge von Privaten. Im Winter 1928 erkrankte sie an einer Mittelohrentzündung, musste ins Spital und später zur Kur an den Bodensee.
Sophie Taeuber-Arp war eine Feministin avant la lettre. Die Aargauer Schau dokumentiert auch ihre Biografie. Sie war eine gefürchtete Lehrerin, hatte einen resoluten Ruf, als ob sie ihre künstlerische Verspieltheit überdecken möchte. Und die Frau hatte die charakterliche Stärke, sich neben dem narzisstischen Hans Arp zu behaupten: «Das Miteinander, das unausgesprochene Einverständnis zwischen ihnen, war im Lauf ihres gemeinsamen Lebens oft gefährdet. Aber konnte es angesichts der unterschiedlichen Herangehensweisen an die künstlerische Arbeit überhaupt einen Konsens geben?», fragt Biografin Mair und spielt damit auf seine Selbstbezogenheit und ihre Sachlichkeit an.
Sophie Taeubers Antwort hätte wohl in diesem Fall ausnahmsweise der gedanklichen Klarheit entbehrt.
Sophie Taeuber-Arp (1889–1943)
Sophie Taeuber-Arp ist 1889 in Davos als fünftes Kind eines preussischen Apothekers und einer Appenzellerin geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters wuchs sie in Trogen AR auf, wo ihre Mutter ein Pensionat führte. In Zürich absolvierte sie eine Ausbildung als Kunsthandwerkerin und eine Tanzausbildung bei Rudolf von Laban und Mary Wigman. Als Mitglied des Schweizerischen Werkbundes lernte sie 1915 den Künstler und Dichter Hans Arp kennen. Sie war Lehrerin an der Zürcher Kunstgewerbeschule und schloss sich der Dadaismus-Bewegung um den Dichter Hugo Ball und den rumänischen Avantgardisten Tristan Tzara an. 1926 Umzug nach Strassburg. Das Honorar für den Umbau des Kultzentrums Aubette erlaubte dem Paar den Bau eines Atelierhauses in Meudon bei Paris. 1940 Flucht vor den Nationalsozialisten in das südfranzösische Grasse; 1942 Flucht in die Schweiz. 1943 starb Sophie Taeuber-Arp an einer Kohlenmonoxyd-Vergiftung in Zürich.
Buch
Roswitha Mair
«Handwerk und Avantgarde»
343 Seiten
(Parthas 2013).
Ausstellung
Sophie Taeuber-Arp
Heute ist Morgen
Sa, 23.8.–So, 16.11.
Aargauer Kunsthaus Aarau
Ermässigtes SBB RailAway-Kombi für die Ausstellung «Sophie Taeuber-Arp» im Aargauer Kunsthaus erhältlich am Bahnhof oder beim Rail Service 0900 300 300 (CHF 1.19/Min. vom Schweizer Festnetz) sowie online auf sbb.ch/taeuber-arp.