kulturtipp: Sophie Hunger bringt ein neues Album raus, und die halbe Welt steht Kopf. Wie gehst du mit diesem Erfolgsdruck um?
Sophie Hunger: Druck zu haben ist ein Privileg. Ich freue mich, wahrgenommen zu werden. Zugegeben: Bei Erscheinen meines letzten Albums war ich sehr nervös. Dieses Mal ist mein Selbstvertrauen grösser, und ich freue mich auf die Reaktionen.
Auf deiner anstehenden Tournee spielst du auch auf sehr grossen Bühnen. Bekommst du da die Reaktionen überhaupt noch mit?
Mit grossen Bühnen habe ich weniger Mühe als auch schon. Ab 1500 Leuten wirds aber unübersichtlich. Ich gebe lieber drei kleinere Konzerte als ein riesiges.
Du startest in München und kommst dann über Belgien und Luxemburg erst im Mai in die Schweiz …
Das hat mit der hochkomplexen Konzeption von Tourneeplänen zu tun. Am 17. Mai spielen wir in Zürich, das dauert ja nicht mehr so lange.
«Supermoon» klingt stilistisch noch heterogener als deine früheren, auch schon vielfältigen Alben. Wovon hast du dich inspirieren lassen?
Ich weiss es nicht.
Ein konkretes Beispiel: Der Song «Am Radio» erinnert mich an Nina Hagen.
Lustig. Natürlich kenne ich Nina Hagen, habe aber nicht an sie gedacht. Es war vielmehr der Versuch, ein Lied zu schreiben, das am Radio läuft. Deshalb auch der Titel «Am Radio».
Warum dieser Versuch?
Weil ich es bisher noch nie schaffte, einen Radio-Hit zu schreiben. Die Plattenfirmen brauchen das.
Und bestellen das?
Ja, klar. Ich hatte mich letzten Sommer nach einem neuen Label umgesehen, und da ist dieser Wunsch zur Sprache gekommen. Jede Plattenfirma hat gerne Radio-Hits.
Und diesem Wunsch hast du entsprochen?
Nein, ich habe wieder ein kleines Indielabel gewählt. Dort ist der finanzielle Druck kleiner. Ausserdem hat auch «Am Radio» nicht das Zeug zum Radio-Hit.
Die Musikindustrie ist in der Krise. Inwiefern spürst du das?
Als Künstlerin merkt man schon, dass überall gespart wird. Aber eben: In der Indieszene läuft es anders, da müssen wir ohnehin immer mitdenken und mitgestalten. Und das fördert die Kreativität! Ich gehe seit sechs Jahren meinen eigenen Weg und suche Menschen, die zu mir passen. Und ich hatte immer das Glück, gute Leute zu finden.
Das gilt offenbar auch für Musiker. Wie findest du immer wieder neue, gute Musiker?
In Europa kennt man sich und weiss, wer gut ist. Meinen neuen Gitarristen Geoffrey Burton etwa kenne ich von einer Session und habe ihn ins Studio geladen. Das war gut, und nun kommt er mit auf Tournee.
Wie kommt es, dass du oft mit Jazzern zusammenarbeitest?
Es gibt schon eine Seelenverwandtschaft: Ich improvisiere sehr gerne. Aber Jazz ist ja weit mehr als Improvisation. Jazz zu spielen, erfordert ein hohes Mass an spielerischer Qualität, das hatte ich mir immer gewünscht für die Mitglieder meiner Band. So lernte ich beispielsweise Michael Flury, Julian Sartorius oder Manuel Troller kennen, die alle aus dem Jazz kamen und darüber hinausgehen.
Hast du als Kind schon Musik gehört?
Sehr oft sogar. Meine Eltern hörten Jazz und klassische Musik. Als Teenie hatte ich eine Hip-Hop-Phase mit allem, was dazugehört. Dann entdeckte ich Radiohead und war begeistert. Am liebsten hätte ich ausgesehen wie Thom Yorke und lief mit einem «Lätsch» herum. Im Zürcher Club «Helsinki» lernte ich Country-Music kennen, dann Bob Dylan. Damals habe ich mit meiner eigenen Musik begonnen.
Mit schönen, zarten Balladen etwa. Auf «Supermoon» wirken diese weniger zerbrechlich als früher.
Das kann sein.
Nicht so «finöggelig», mit weniger Kleinmädchenstimme …
Jaja, ich weiss genau, was du meinst. Ich fühle mich heute tatsächlich weniger zerbrechlich als damals. Das sind eben Zustände, die sich ändern, Lebensphasen.
Auch Lebensorte?
Genau.
Aktuell lebst du in Berlin.
Ja. Ich bin aber oft auch in Zürich und anderen Städten anzutreffen.
Im neuen «Rolling Stone» sagst du, du brauchest keine Heimat. Geht das?
Früher hatte ich eine sehr romantische Vorstellung von Heimat. Ohne Heimat, dachte ich, dreht man durch. Mittlerweile weiss ich, dass es weit schlimmer ist, mein berufsbedingtes Unterwegssein und das Zuhausesein unter einen Hut bringen zu wollen.
Hast du eine Lieblingsstadt?
Ich bin ich, wo ich gerade bin, und es ist gut so. Heute bin ich in Zürich. Morgen ist mein Geburtstag, den feiere ich in Paris. Denn Paris ist gut, um sich zu verwöhnen: fein zu essen, gute Konzerte zu besuchen, in die Oper zu gehen …
Du gehst in die Oper?!
Nein, aber in Paris wäre das stimmig. (lacht) In Berlin war ich in der «Komischen Oper» – wunderbar! Berlin übrigens ist gut, um zu komponieren, zu schreiben.
Du schreibst in verschiedenen Sprachen. Wann wählst du welche?
Ich gehe vom ersten Satz aus, und der kommt intuitiv – mal so oder so.
Im neuen Song «Heicho» erwähnst du deine vier Sprachen, die da sind …?
Das ist eine Anspielung auf die viersprachige Schweiz. Ich spreche aber nur Hochdeutsch, Schweizerdeutsch, Französisch und Englisch.
Das sind auch vier Sprachen.
O.k., ja … (lacht) Ich habe übrigens ein einziges Mal ein Lied von mir in eine andere Sprache übersetzt. Das klang grässlich, und ich hab es sofort weggeschmissen.
Sophie Hunger
Geboren 1983 in Bern, verbrachte Sophie Hunger, die eigentlich Emilie Welti heisst, ihre Kindheit und Jugend in London, Bonn und schliesslich in Zürich. Als Tochter eines Diplomaten lernte sie jene örtliche Unstetigkeit kennen, die ihr Leben bis heute prägt. Auch musikalisch ist Sophie Hunger kaum festzumachen. Aufgewachsen zwischen Jazz, Punk und Hip-Hop, schreibt sie Songs von schillernder Vielfalt. In der Zürcher Szene ab 2002 in diversen Bands aktiv, schaffte sie 2008 den Durchbruch mit dem Album «Monday’s Ghost». Es folgten «1983» (2010), «The Danger Of Light» (2012) und «The Rules Of Fire» (CD/DVD 2013).
Sophie Hunger
Supermoon
(Two Gentlemen 2015).
Konzerte
So, 17.5., 20.00 X-tra Zürich
Sa, 18.7., 20.00 Stimmen Festival, Marktplatz Lörrach D
Sa, 25.7., 20.30 Blue Balls Festival, KKL Luzern
Weitere Termine: www.sophiehunger.com