Das Eingangsportal im trendigen Pariser Marais-Quartier ist diskret und doch erhaben. Kaum hat der Türsteher aufgeschlossen, reizt süss-herber Lilienduft die Nase: Willkommen im Atelier des renommierten Designers Azzedine Alaïa – US-Präsidentengattin Michelle Obama trägt seine Kleider.
Stoffe, Roben und Kleidchen, das Stück für 2500 Euro. Da geht die nächste Pforte im noblen Atelier auf, und den Besuchern der Mund nicht mehr zu. Alaïas Showroom erinnert mit seiner Galerie und imposanten Höhe an einen Konzertsaal. Das Plattenlabel Sony wirft bei der Präsentation seines 33-jährigen Sopranstars alles in die Waagschale – Sonya Yoncheva!
Rubinrote Stimme
«Paris, mon amour» heisst Yonchevas erste CD. Trotz populärer Verpackung ist die Aufnahme spannend, denn neben drei italienischen Hits sind Opern-Raritäten aus dem französischen 19. Jahrhundert zu hören. Schade nur, findet man im Booklet zur Sängerin selbst kein Wort: Zu gern würde man über diese Sopranistin mit ihrer charaktervollen, rubinroten Stimme mehr wissen. Eine divenhafte Erhabenheit umschwebt diese Frau in Alaïas Zauberkleid, eine mütterliche Wärme umgibt sie. So erscheint sie weit entfernt von der «rattenscharfen Russin Netrebko» («Stern»), die vor 13 Jahren den Opernherren den Kopf verdrehte und CDs im sechsstelligen Bereich verkaufte. Doch aufgepasst! Yoncheva erinnert auch an Netrebko. Vom Aussehen her wie auch durch die herbstfarbene Fülle ihres Soprans mahnt die junge Mutter an die zehn Jahre ältere Russin von heute.
Die zweite Heimat
Nach der Geburt ihres Sohnes merkte Yoncheva, dass ihre Girlie-Jahre bereits vorbei sind. Und äussert sich dazu in Paris offensiv: «Vor dem Kind war ich ein leichter lyrischer Sopran, nun bin ich ein lyrischer.» Oder ist sie gar noch mehr als das? Dreht Yoncheva auf, ist da eine Stimmkraft zu spüren, die taumeln lässt: ein sogenannter Spintosopran, der Orchesterwogen durchstossen kann. Kein Wunder, sagte Yoncheva die für Mai in Zürich geplante Koloraturrolle der «Lucia di Lammermoor» ab, tönte doch ihre Stimme zu schwer für diese Rolle. Sie brillierte aber im April als Einspringerin in «La Traviata». «Nachher», so verspricht sie, «werde ich oft in Zürich singen – übernächste Saison die Manon.»
Man glaubt ihr, weil die Schweiz Sonya Yonchevas zweite Heimat geworden ist, die Sängerin lebt seit 14 Jahren in Genf. «Die Schweiz gab mir eine Erziehung, eine Ausbildung, ein Gefühl für Tradition, und das Wichtigste: Ich lernte, diszipliniert zu sein.
Ich bin aus Bulgarien – dort herrscht Chaos.»
Für fünf Jahre ist sie nun ausgebucht. Ihr Ehrgeiz ist riesig. Als im Herbst 2014, ein Monat nach der Geburt ihres Sohnes, ein Anruf aus New York kam, ob sie in einem Monat an der Met die Mimi in Puccinis «La Bohème» singen könne, schaute sie auf ihr Baby im Kinderwagen, zögerte drei Sekunden und antwortete: «Ja!» Im Scherz sagt sie in Paris. «Ich schaffe das alles, weil ich nicht mehr schlafe.»
Mit Ehrgeiz am Werk
Als sei der aktuelle Erfolg nicht genug, sagte New Yorks mächtiger Operndirektor Peter Gelb: «Meine Hoffnung ist, dass sie einer der grossen Met-Stars wird.» Ein grosser Satz sei das, sagt sie mit ernster Miene. «Aber ich habe keine Angst.» Ihre Karriere weist in den Himmel, und ihr Sohn Matteo wird bald die ersten Wörter sprechen. Geht das zusammen? «Auf den ersten Blick gar nicht. Aber ein Kind gibt einer Frau eine riesige – eine natürliche – Kraft.» Eine Konkurrenz zwischen Karriere und Sohn gäbe es nicht: «Matteo gewinnt immer», betont sie.
7 Minuten 30
Nach der CD-Präsentation gibt es in Alaïas Atelier Küsschen vom Designer persönlich, Champagner, Jakobsmuschel-Carpaccio – und zwischen Stuhl und Bank ein paar Interviews. Deutschlandradio ist da, der Kollege aus Italien, einer aus London. 7 Minuten 30 Sekunden darf man mit Yoncheva sprechen. Zum Dessert singt sie für eine Label-Managerin ein «Happy Birthday» – und rauscht davon. 180 Zentimeter lange Empfangsdamen überreichen den Gästen die CD «Paris, mon amour». Nicht mehr aus dem Ohr will uns daraus Verdis «La Traviata» gehen: «Amore! Follie! Gioir!» – «Liebe! Wahnsinn! Vergnügen!»
Sonya Yoncheva
Paris, mon amour
(Sony 2015).
Mo, 20.7., 19.00
Salle des Combins Verbier
(Ausschnitte aus Verdis «Luisa Miller»)
Infos: www.verbierfestival.com