Schweizer Literatur
Simona Ryser: Der Froschkönig (Limmat 2015).
Märchen und Realität, Gegenwart und Kindheitserinnerungen vermischen sich im Roman der Zürcher Autorin Simona Ryser. Im Zentrum steht eine junge Dozentin für Stadtentwicklung aus Zürich, die in Frankfurt ein Projekt realisieren soll. Immer an ihrer Seite ist ein grüner Frosch, der sie mit einem schmatzenden «Plitsch Platsch» überallhin verfolgt. Der Quaker erinnert sie an ihren Vater, der in den 70ern fast alles verlor, was ihm lieb war, und Trost suchte im Aufbau eines Biotops für Frösche. In der Gegenwart findet die Dozentin den Prinzen – ein leichtfüssiges Stadtmärchen.
Pedro Lenz: Radio (Der gesunde Menschenversand 2015).
Zum Nachlesen von vielleicht Gehörtem: Hier sind 90 Morgengeschichten versammelt, so wie sie der Langenthaler Pedro Lenz («Der Goalie bin ig») im Radio SRF 1 zwischen 2007 und 2011 vortrug. Der Umfang ist auf die gebührende Kürze beschränkt, die Form entspricht der Lenz-typischen rhythmisierten Oberaargauer Mundart. Die Stoffe sind aus Beobachtungen und Begegnungen entstanden, gestaltet als Dialoge oder Reflexionen. So kommen sie pointiert zusammen: Alltagsleben und Weltansichten.
Peter Bichsel: Über das Wetter reden. Letzte Kolumnen (Suhrkamp 2015).
Drei Dutzend Kolumnen aus den Jahren 2012–2015, erschienen in der «Schweizer Illustrierten», die letzten, die Peter Bichsel geschrieben hat. Schade. Und deshalb umso schöner, dass hier alle versammelt sind: Beispiele dafür, wie aus angeblichen Nichtigkeiten viel Nachdenkens- und Bedenkenswertes entstehen kann. Der geliebte Beethoven auf dem Smartphone, die Beschleunigung, die unser Leben durchdringt, Sieger in Sport und Politik – der Themenpark ist weit.
Andrea Gerster: Verlangen nach mehr (Lenos 2015).
Was ist real, was ist fiktiv? In ihrem vierten Roman erzählt die Thurgauer Autorin Andrea Gerster ein Familiendrama, das sich innerhalb weniger Tage ereignet. Erst erhält Alber Dillig die fristlose Kündigung, anderntags erfährt seine Frau vom Tod ihres Liebhabers. Hals über Kopf fliehen sie aus der Misere: er in die Bündner Berge, sie nach Berlin. Dies alles wäre gut verdaulich, käme da nicht auch noch ein Kalb ins Spiel … Ein wunderbar witziges und kurzweiliges Buch.
Internationale Literatur
Siri Hustvedt: Die gleissende Welt (Rowohlt 2015).
Eine Abrechnung mit dem männlich geprägten, auf äusseren Schein bedachten Kunstbetrieb: Im Mittelpunkt des Romans der US-Autorin Siri Hustvedt steht eine eigenwillige, 60-jährige New Yorker Künstlerin, die lange im Schatten ihres Mannes darbt. Erst als sie ihre Kunstinstallationen unter drei falschen Männernamen ausstellt, ist ihr der Erfolg beschieden. Hustvedt betreibt ein perfektes Verwirrspiel – sie jongliert mit Perspektiven, Identitäten und mit feministischen Diskursen. Keine leichte Kost, aber ein vielschichtiger und packender Roman.
T.C. Boyle: Hart auf hart (Hanser 2015).
Naturschützer tauchen oft auf in den Romanen des US-Starschreibers T.C. Boyle. Adam aber lebt nicht aus reiner Naturliebe im Wald.
Er leidet unter Verfolgungswahn. Sara nimmt diese Ängste ernst. Sie gabelt Adam als Autostopper auf, verliebt sich in ihn und glaubt, ihn zu verstehen. Auch Sara kämpft gegen Spiessertum und Staatsgewalt, hat jedoch die lebensfrohe Variante des Hippietums gewählt. Die beiden ziehen zusammen, doch ihr Idyll bekommt bald Risse. Einer von Boyles besten und packendsten Romanen.
Pierre Lemaitre: Wir sehen uns da oben (Klett-Cotta 2014).
Man findet sich auf den ersten Seiten im 113. Frontabschnitt des Ersten Weltkrieges, wird Zeuge eines letzten Angriffs 1918 und der Jahre danach. Der französische Autor Pierre Lemaitre entwirft in einem Mix aus Schelmen-, Abenteuer- und Kriminalroman ein schillerndes Panorama der französischen Nachkriegsgesellschaft, in der unablässig von Ruhm und Ehre die Rede ist. Profitgier und krumme Geschäfte aber herrschen vor. Unglaublich kurzweilig, witzig und spannend ist dieses preisgekrönte Werk.
Lutz Seiler: Kruso (Suhrkamp 2014).
Kurz vor dem Zusammenbruch der DDR versammeln sich 1989 Aussteiger und Sonderlinge als Mitarbeiter im Ausflugslokal «Klausner» auf der Ostseeinsel Hiddensee. Ihr Anführer ist Kruso, der Ex-Student Edgar sein «Freitag». Der Roman schildert die Entwicklungsgeschichte Eds und erinnert an das Schicksal der ertrunkenen, namenlosen Flüchtlinge. Der Zerfall der DDR ist nur ein Hintergrundrauschen. Die Sprache ist höchstmusikalisch, poetisch, manchmal religiös. Der Roman bekam den Deutschen Buchpreis 2015.
Krimis/Thriller
James Lee Burke: Sturm über New Orleans (Pendragon Verlag 2015).
New Orleans nach dem Hurrikan Katrina: Die Hölle scheint losgebrochen, mit Mord und Totschlag in einem Sumpf aus Irrsinn und Korruption. «Was damals in New Orleans geschah, das war nicht nur eine Naturkatastrophe, das war das Versagen einer Regierung, der denkbar grösste Verrat an der eigenen Bevölkerung. Eine nationale Schande», sagt US-Autor James Lee Burke seinen deutschen Lesern. Und auch: Das sei sein bisher wütendstes Buch.
Robert Galbraith: Der Seidenspinner (Blanvalet 2014).
Robert Galbraith alias J.K. Rowling versteht ihr Metier. Ihr zweiter Band rund um den kriegsversehrten Privatdetektiv Cormoran Strike und seine clevere Assistentin Robin ist ein handfester Thriller aus London. Galbraith kennt den Literaturbetrieb aus eigener Erfahrung: In «Der Seidenspinner» teilt sie ein paar Seitenhiebe aus und lässt ihren Detektiv im Fall eines ermordeten Skandalautors ermitteln.
Wolfgang Bortlik: Spätfolgen (Gmeiner Verlag 2015).
Protagonist Melchior Fischer, ein Aargauer in Basel, arbeitet die eigene politisch-private Geschichte auf. Er blickt zurück in die 1970er-Jahre (Anti-AKW-Bewegung) und stellt sich drängenden Fragen: Wurde Fischers bewunderter Bruder gar nicht Opfer eines Unfalls? Steckte mehr dahinter? Bortliks sechster Roman ist als Krimi deklariert, geradeso gut könnte man ihn Sittengemälde nennen. Mit viel Zeitkolorit.
Sachbücher/Biografien
Esther Bertschinger-Joos, Richard Butz: Ernst Frick. Zürich – Ascona, Monte Veritá (Limmat 2014).
Der Zürcher Maler Ernst Frick (1881–1956) wandte sich erst mit 36 Jahren ernsthaft der Kunst zu. In seinen frühen Jahren war er politischer Aktivist und entschied sich zudem für ein Beziehungsleben, das ziemlich eigenwillig erscheint.
Das alles steckt in dieser flüssig geschriebenen Biografie über einen Freigeist, der zu Unrecht vergessen gegangen ist.
Genua und Ligurien: Eine literarische Einladung (Wagenbach 2015).
1998 lancierte der Wagenbach Verlag mit «Neapel: Eine literarische Einladung» eine erfolgreiche Reihe.
Nun liegt der 20. Band vor: Genua und Ligurien. Einst stolze Seerepublik, Ende des letzten Jahrhunderts als gefährlich gemiedene Hafenstadt, gilt Genua heute als lebensfrohe Metropole. Autorinnen und Autoren beschreiben hier Genuas Einzigartigkeit in einladenden literarischen Texten.
Joan Schenkar: Die talentierte Miss Highsmith (Diogenes 2014).
«Sie war nicht nett. Sie war selten höflich. Und niemand, der sie gut kannte, hätte sie grosszügig genannt.» So beginnt die Biografie über die US-Schriftstellerin Patricia Highsmith. Ihr Leben war geprägt vom Alkohol und ihren Neurosen, sie erregte mit ihren psychologisch fein ausgeloteten Thrillern genauso Aufsehen wie mit ihren Affären mit Frauen. Eine unterhaltsame, packende Biografie.
David Barrie: Sextant – die Vermessung der Meere (Mare 2015).
Eine gelungene Mischung aus Abenteuer, Wissenschaft und Heldentaten – eine Liebeserklärung ans Meer ist dieses Buch. Der englische Autor David Barrie beschreibt darin eindrücklich und spannend, wie es sich einst anfühlte, ohne GPS über die Ozeane zu segeln. Er erzählt von ungewöhnlichen Seereisen, die dank Gestirnsnavigation erfolgreich verliefen oder aber kläglich scheiterten.
Klassiker
Leo Tolstoi: Anna Karenina (Neuübersetzung von Rosemarie Tietze, dtv 2011).
Mit «Anna Karenina» hat sich Leo Tolstoi (1828–1910) in den literarischen Kanon des 19. Jahrhunderts eingeschrieben. Sein epischer Roman ist zwar zum Sittenbild der zaristischen russischen Gesellschaft geworden, greift aber moderne Themen wie Ehebruch und Selbstmord auf. 1877/78 als Hauptwerk des literarischen Realismus erschienen, wird «Anna Karenina» bis heute oft adaptiert.
Ernest Hemingway: Der alte Mann und das Meer (rororo, 3. Auflage, 2014).
Mit Blick über das Meer liest sich das letzte Werk des Nobelpreisträgers stilecht. Die Lektüre dieser kraftvollen Novelle von 1952 lohnt sich aber auch auf dem Trockenen: Es ist eine archaische Geschichte über das Verhältnis von Mensch und Natur. Ein kubanischer Fischer ringt auf dem Meer mit einem riesigen Fisch – ein Kampf um Leben und Tod, um Willensstärke und Selbstbehauptung.
Stendhal: Rot und Schwarz (Diogenes Taschenbuch 1999).
Gesellschaftsroman von 1830, im Ton modern-realistisch. Stendhal erzählt vom tragischen Helden Jean Sorel: ein Ehrgeizling aus der französischen Provinz, der eine gesellschaftliche Karriere nur via Kirche machen kann. Er passt sich an, heuchelt, lässt sich mit der Gattin eines Dienstherrn ein. Dramatische Verwicklungen machen ihn fast zum Mörder, auf den am Ende das Todesurteil wartet.
Jane Austen: Stolz und Vorurteil (Neuübersetzung von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié, Fischer 2015).
Dieser Roman enthält alles, was das 19. Jahrhundert ausmacht. Die Liebesgeschichte zwischen der hochnäsigen Elizabeth Bennett und dem eingebildeten Fitzwilliam Darcy ist eine Sittenlehre, die den Leser einlädt, sich nicht nur an persönlichen Befindlichkeiten zu orientieren. Eine spannende bürgerliche Gesellschaftsanalyse.