Bildband
Lustvolle Zerstreuung
Starke Frauen lesen. Was sich wie ein Transparent zum Frauenstreik anhört, ist auch ein faszinierendes Leitmotiv der abendländischen Kunstgeschichte. Lesende Frauen haben vorwiegend männliche Maler seit der Renaissance fasziniert, wie Dörthe Binkert in ihrem neuen Buch zeigt. Überraschte der Italiener Ambrosius Benson 1520 noch mit einer vor gestrenges Schwarz gesetzten «Maria Magdalena lesend», zeigten seine Nachgeborenen die Lesenden gerne in luftiger Landschaft und prächtigen Gärten, um ihre Versunkenheit und lustvolle Zerstreuung zu betonen. Vincent van Gogh, Henri Lebasque oder August Macke wählten am Übergang zur Moderne auch Alltagssituationen im häuslichen Salon, auf dem Bett oder gar bei der Hausarbeit. Ein moderner Klassiker ist Dennis Hoppers Lesende im Zugabteil. «Frauen, die lesen, lesen überall», schreibt Elke Heidenreich in ihrem gewohnt launigen Vorwort. Kunsthistorikerin Dörthe Binkert beschreibt jedes ihrer ausgewählten Gemälde, die sie zudem in Kapiteln gruppiert von «Kleine Fluchten» über «Unter Menschen und doch für sich» bis hin zu «Frauenpower». Ein wunderschöner, luftiger Schau- und Lesespass. (fn)
Dörthe Binkert
Wo Frauen ihre Bücher lesen
208 Seiten
(Thiele Verlag 2019)
Roman
Vergnügliches Lese-Abenteuer
Txiki ist erst acht, als seine Mutter verlassen wird und ihn aus finanzieller Not zu ihrer Schwester nach San Sebastián schickt. Die Verwandten sind einfache Leute, die den Neffen unkompliziert ins Familienleben integrieren. Am ehesten wahrgenommen wird Txiki von Cousin Julen. Dieser spannt ihn für besondere Dienste ein, und Txiki merkt bald: Julen sympathisiert mit der baskischen Untergrundorganisation ETA. Wer Fernando Aramburus Roman «Patria» (2018) gelesen hat, wird sich auskennen in diesem soziopolitisch speziellen Kosmos. Doch Txikis Geschichte spielt Ende der 60er, also noch zur Franco-Zeit und gut 20 Jahre vor «Patria». Der baskische Autor überrascht seine Lesenden wieder mit einem erzählerischen Dreh: Er lässt den erwachsenen Txiki seine Jugenderinnerungen in einer unbeholfen gestelzten Sprache dem «Herrn Schriftsteller Aramburu» erzählen. Dieser kommentiert das Berichtete in dramaturgischen «Notaten». Den eigentlichen Roman montiert sich jeder Leser auf eigene Art. Ein höchst vergnügliches Lese-Abenteuer. (fn)
Fernando Aramburu
Langsame Jahre
208 Seiten
(Rowohlt 2019)
Bildband
Weltreisen auf dem Sofa
Mit Souvenirs ist das so eine Sache. Oft eher im Bereich des Kitschs angesiedelt, sind sie meist nicht wirklich von Nutzen und bereiten nicht selten nur in begrenztem Rahmen Freude. Katharina Koppenwallners Büchlein könnte das ändern: Die Kunsthistorikerin und Ethnologin bereist seit vielen Jahren die Welt auf der Suche nach traditionellen Gegenständen. Im Band «Souvenirs» hat sie 50 Mitbringsel aus allen Ländern versammelt. Ob Keramik aus Österreich, Flamingos aus den USA oder gehäkelte Taschen aus Kolumbien, sie alle bergen Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden. Dies macht die Autorin auf unterhaltsame Weise. So weiss sie etwa, dass die gewebte sexy Wrestlinghose aus der Mongolei nicht aus ästhetischen Gründen so knapp geschnitten ist, sondern um dem Ringer die grösste Bewegungsfreiheit zu gewährleisten. Oder dass die witzigen Tigermützen, die Babys in China tragen, nicht wegen des Jö-Effekts aufgesetzt werden. Sie sollen den Mächten des Bösen vielmehr suggerieren, das Kind sei ein wildes Tier. Ein wunderbares Büchlein für ferne Reise vom eigenen Sofa aus. (sch)
Katharina Koppenwallner
Souvenirs –50 Dinge, die es hier nicht gibt
320 Seiten
(Kein & Aber 2019)
Erzählband
Aus karger Bergwelt
Murmeltiere, Hornochsen, Miezekatzen und Bergler: Leo Tuors Geschichten aus der Surselva sind einzigartig – schräg, oft köstlich. Hier erzählt der Rätoromane in Miniaturen vom «kurligen» Onkel, seinem verschrobenen Grossvater oder der Grossmutter, die mit starker Hand die Familie lenkt. Eine Ahnengeschichte aus einer kargen Bergwelt voller berührend-zärtlich-robuster Poesie, hervorragend übersetzt. (sch)
Leo Tuor
Die Wölfin – La luffa
Zweisprachige
Printausgabe
Übersetzung: Peter Egloff
(Limmat 2019)
Roman
Abenteuer wider Willen
Friedemann Karig schickt den Ich-Erzähler seines Debüts «Dschungel» auf ein Abenteuer wider Willen. Der introvertierte Protagonist sucht in Kambodscha nach seinem Freund Felix. Felix’ Mutter bat ihn darum – seit Wochen hat sie nichts vom Sohn gehört. Karig kontrastiert die Asienreise mit Szenen aus einer deutschen Kleinstadt-Jugend. Denn die Suche nach Felix wird für den Erzähler zur Reise in die Vergangenheit. (sk)
Friedemann Karig
Dschungel
384 Seiten
(Ullstein 2019)
Thriller
Neue Heldinnen
Ein rasanter, herzerweichender Thriller aus Los Angeles: Die 26-jährige Lola ist eine unscheinbare Latina. Kaum einer in der Macho-Welt nimmt sie ernst, aber sie ist die Chefin einer Gang, die in einem Drogenkrieg zwischen die Fronten gerät. Lola schlägt sich durch und kümmert sich gleichzeitig um ihren Bruder und ihr Pflegekind. So sehen neue Heldinnen in #MeToo-Zeiten aus. (eb)
Melissa Scrivner Love
Lola
392 Seiten
(Suhrkamp 2019)
Erzählband
Tierische Freunde
Ob Schwein oder Vogelspinne, die US-Naturforscherin und Bestsellerautorin Sy Montgomery kennt keine Berührungsängste. Im neuen Buch erzählt sie mit viel Humor von Tieren, die sie in ihrem Leben begleitet haben – vom Scottish Terrier Molly bis zum Ferkel Christopher. Nebenbei lässt sie Wissenswertes zu den tierischen Mitbewohnern einfliessen. Ein herzerwärmender, toll illustrierter Band für Naturliebhaber. (bc)
Sy Montgomery
Einfach Mensch sein. Von Tieren lernen
Mit Illustrationen von Rebecca Green
208 Seiten
(Diogenes 2019)
Roman
Betrüger mit Niveau
Wegen Betrugs ist er im Knast gelandet: der Stotterer Johannes Hosea. Der gewitzte Kleinkriminelle hat eine Vorliebe für Schopenhauer und eine blasphemische Haltung gegenüber Gottes Wort. Trotzdem: Im Gefängnispfarrer findet er einen Mentor. Hosea beginnt zu schreiben und weiss genau, was Leser wollen. Ein intelligentes Buch gewürzt mit viel Boshaftigkeit vom Schweizer Autor Charles Lewinsky. (sch)
Charles Lewinsky
Der Stotterer
416 Seiten
(Diogenes 2019)
Thriller
Knallhart und fesselnd
Der türkischstämmige Kölner Polizist Can Arat ermittelt in einem Doppelmord an bulgarischen Roma, die auf dem Bau für Hungerlöhne schufteten. Er enthüllt ein Netz aus Menschenhandel, Prostitution und Korruption, das bis in die höchsten Kreise der Stadt reicht. Die Autorin verarbeitet eigene Erfahrungen und recherchierte fünf Jahre lang zur Arbeitsmigration der EU. Ein knallharter, fesselnder Politthriller. (eb)
Susanne Saygin
Feinde
352 Seiten
(Heyne 2018)