Dann schwingt er sich kurzerhand auf den Brunnen vor der Chesa Arcada. Denn die Traube von Leuten, die Fredo Falett bei der Dorfführung zuhören wollen, wird immer grösser. Von den Häusern und ihren Bewohnern erzählt der «undiplomierte Lokalhistoriker», wie er sich selbst nennt, in Bergün. Und von den Walsern, die sich in den umliegenden Dörfern vor Jahrhunderten niedergelassen haben.
Als Falett und sein Publikum im Garten der Chesa Orta ankommen, sind aus der Scheune nebenan seltsame Geräusche zu hören. Sie stammen von Perkussionist und Raumklangforscher Fritz Hauser aus Basel.
Pendeln zwischen Ställen, Sägerei, Stube und Kirche
Dieses belebende Nebeneinander von Musik und Wort, Kultur und Natur, Tradition und Moderne findet alle zwei Jahre als Bergfahrt Festival in Bergün im Albulatal statt. Von «Cultura alpina» sprechen die Veranstalter im Untertitel. «Wir bespielen aber nicht einfach ein Bergdorf, sondern schaffen ein Festival gemeinsam mit der Bevölkerung», präzisiert OK-Mitglied Rob Neuhaus.
So bläst die Eröffnungsfanfare zwar die gewitzte Zürcher Posaunistin Priska Walss, gefolgt aber von der Musikgesellschaft Bergün. Fatima Dunn – ebenfalls aus Zürich – sampelt mit ihrem Cello in der wohlig trockenen Teppichlager-Scheune raffinierte Loops, der Bündner Jugendchor beschallt den Jugendstilsaal im Kurhaus. Ebendort switcht Corin Curschellas später mit ihrem Quartett Rodas zwischen rätoromanischem Volkslied und urbanem Blues.
Die Grazer Sängerin und Cellistin deeLinde jodelt im Säli des Hotels Ela aus voller Kehle zu farbigen Akkorden des brasilianischen Gitarristen Emiliano Sampaio. Und Hackbrettspieler Christoph Pfändler beseelt mit zwei Sängerinnen zu nächtlicher Stunde das spätgotische Kirchlein mit seinen Fresken und Deckenmalereien.
«Die Abgeschiedenheit der Bergwelt und die Eigenart der vielen Veranstaltungsorte beschern diesem Festival ein spezielles Ambiente», sagt Cellistin Fatima Dunn. «Ich schätze die Offenheit und Neugierde des Publikums.» Rund 1400 Personen pendeln an den drei Festivaltagen zwischen Sälen und Ställen, Sägerei und Wohnstube, Kirche und altem Römerturm und geniessen nebst Konzerten und Performances auch Lesungen und Kunstinstallationen, Filmvorführungen oder Podien.
Immer wieder gibt es spontane Aktionen oder Surprisen. Franz Hohler, der zweimal den Kurhaussaal füllt, ist begeistert: «Ich war schon als Bub mit meinen Eltern in Bergün. Umso mehr geniesse ich das Einladende und Verbindende dieses grossartigen
Festivals als Besucher und Künstler. Dieser offene Geist offenbart sich bildhaft in der ‹Megsa lungia›.» Hohler spricht den samstäglichen Mittagstisch an: Eine über 100 Meter lange Tafel auf der Bergüner Hauptgasse, wo der Bäuerinnen- und Landfrauenverein Bergün-Latsch-Stuls den Festivalbesuchern eine köstliche Gerstensuppe beschert. «Eine symbolträchtige Geste», findet auch OK-Sprecher Rob Neuhaus. «Sie bringt die Zusammenarbeit mit den Einheimischen zum Ausdruck, von denen sich viele auch als freiwillige Helfer engagieren.»
«Wir wollen Bergün nicht fluten»
Gemeindepräsident Luzi C. Schutz formuliert den Zauber des Festivals sowie dessen Bedeutung für Bergün auf poetische Weise: «Kultur ist unser neuer Schnee. Sie bringt uns eine besondere Art von Gästen.» Viele dieser Gäste reisen aus dem Unterland an, konkret aus Zürich und Umgebung.
Rob Neuhaus weiss, dass es immer mehr Gäste werden, versichert aber: «Wir achten auf eine stimmige Balance, denn wir wollen Bergün nicht fluten.» Auch Franz Hohler kennt die Gefahren des Erfolgs von Festivals. Mit einem Augenzwinkern sagt er: «Das Gurtenfestival hat auch klein angefangen, und plötzlich kam Bob Dylan.»
Vorderhand stimmt die Balance noch. Heidi Vogt, pensionierte Kaderfrau im Sozial- und Gesundheitswesen, bringt das Publikumsecho auf den Punkt: «Die Stimmung ist entschleunigt. Man hat den Eindruck, alle seien zufrieden.»
Festivals in stimmiger Kulisse
Eine Auswahl an Sommerfestivals, wo Programm und Inszenierung zum Gesamtkunstwerk werden:
Kultur verussen Lichtensteig SG
Im Toggenburg-Städtchen geht die Kultur einmal mehr auf Gassen und Plätze. Nebst Musik etwa des Vintage-Duos Larf gibts Comedy mit Patti Basler, Tanz oder Literatur. Wers geniesst, füttert den Kollektentopf.
Fr, 5.7.–So, 7.7.
www.rathausfuerkultur.ch
Openair Safiental GR
Eines der kleinsten Open Airs im Lande mit langer Geschichte und klarem Credo: Die Umwelt soll geschont werden. Entsprechend sanft wird das Gelände inszeniert. Es spielen junge Bands, viele Konzerte sind gratis.
Fr, 19.7.–So, 21.7.
www.openair-safiental.ch
Reeds Festival Pfäffikon ZH
Reggae und alles, was dazugehört: Seit 2003 wird das Ufer des verträumten Pfäffikersees im Zürcher Oberland zum Karibikstrand mit namhaft bestücktem Line-up: Diesmal mit dem Basler Reggae-Man Famara, dem Kölner Gentleman oder Queen Omega aus Trinidad.
Fr, 19.7.–So, 21.7.
www.reeds-festival.ch
Waldstock Steinhausen ZG
Die Liebe zum Detail spielt die Hauptrolle bei diesem Freiland-Festival zwischen Zürich und Zug. Seit 2000 kommen Bands aus der Nachbarschaft oder aus der Ferne. Diesmal sind etwa das Neue-Volksmusik-Trio Obliecht oder Kolinga mit Wurzeln im Kongo mit dabei. Beim Eindunkeln gibts Filme.
Do, 1.8.–Sa, 3.8.
www.waldstock.ch
Buskers Bern
Wie die «Bergfahrt» ein Festival nicht nur mit Musik. Die ganze Berner Altstadt pulsiert vor Kultur. Mit einem Armbändel für 20 Franken (Kinder: 5 Franken) ist man dabei.
Do, 8.8.–Sa, 10.8.
www.buskersbern.ch
Festival i de Marktgass Bremgarten AG
Die Freiämter Reuss begleitet den Reigen dieser Konzerte vor historischer Kulisse als stilles Rauschen. Die Stimmung ist entschleunigt, die Preise sind tief, die Bands angesagt – vom Genfer Top-Drummer Arthur Hnatek bis zum Zürcher Dreampop-Duo Steiner & Madlaina.
Fr, 9.8.–Sa, 10.8.
www.festivalmarktgass.ch
Musig i de Altstadt Aarau
In den Gassen der Aarauer Altstadt lockt ein internationaler und vielfältiger Musikmix. Das Ambiente erinnert an eine italienische Piazza. Als Eintritt reicht ein Button für 15 Franken.
Fr, 23.8.–Sa, 24.8.
www.mida-aarau.ch
Lupf Sarnen OW
Nach einem kurzen, aber «stotzigen» Aufstieg von Sarnen auf den Landenberg öffnet sich eine Naturidylle. Dem Festivalnamen entsprechend gibts lüpfige Musik aus der näheren oder weiteren Umgebung. Kids bis 16 Jahre sind gratis dabei, die Älteren zahlen 40 Franken pro Abend.
Fr, 23.8.–Sa, 24.8.
www.lupf.ch