kulturtipp: Sol Gabetta, war die Geburt Ihres Sohnes auch ein Moment des Zurückblickens und Überdenkens Ihrer
Karriere?
Sol Gabetta: Vielleicht. Ich bin aber ein Mensch, der immer nach vorne schaut. Ich bin sehr entspannt – seit Jahren. Das war vielleicht mit ein Grund, warum alles so wunderbar aufging. Aber als ich noch studierte, gab es viel Konkurrenz unter den Cellisten. Dann jedoch war ich rasch drin im Geschäft. Meine Plattenfirma nahm keinen anderen grossen Cellisten unter Vertrag, meine Agentur ebenso wenig.
Spielte das Konkurrenzdenken damals eine wichtige Rolle?
Das scheint so, aber ich bin kein Mensch, der dies im Kopf hat. Ich habe so viel erreicht, was ich mir nicht einmal erträumen konnte. Aber ich habe nie etwas Schlechtes gegen jemanden getan, damit meine Karriere vorwärtsgeht.
Kann man eine Karriere konstruieren?
Ja, aber da bin ich die falsche Person, um das aufzuzeigen.
Aber Ihre Karriere ist doch kein Zufall.
Wahrscheinlich nicht, man braucht Talent und Ausdauer, ich habe viel gearbeitet und hatte sicherlich bisweilen auch Glück in den ausschlaggebenden Momenten. Ich wurde allerdings viele Jahre als junge blonde Frau angesehen, die sich inszeniert. Die Leute, die mir nahestanden, wussten, dass diese Inszenierungen für mich überhaupt nicht im Zentrum stehen. Das Bild hingegen war da, es wurde am Anfang meiner Karriere ohne meine Kontrolle vermarktet – meine Erfahrung war zu klein, um das zu begreifen. Es hat einige Jahre gekostet, dieses Image zu ändern. Der Markt steckt dich in eine Schublade – und weg bist du.
Haben Sie Dinge für die Karriere gemacht, die Sie später bereuten?
Auf meiner ersten CD sind drei Komponisten aus «meinen» drei Ländern – Argentinien, Schweiz, Russland. Damit
identifizierte ich mich, und sofort öffneten sich Türen. Nachher aber wollte Sony eine zweite CD, auf der ich Bearbeitungen von Opernarien spielen sollte. Da gab es erste Konflikte: Ich hatte nicht die Kraft, Nein zu sagen.
Es gibt Schlimmeres als eine etwas seichte Opernarien-CD.
Kleinigkeiten, die nichts mit dir zu tun haben, können deinen Weg umlenken, und wenn es zu spät ist, dann kommst du
nicht mehr zurück. Manchmal ist eine Karriere Glückssache. Aber ich denke nicht so sehr an die Karriere, ich bin keine Firma, sondern eine Cellistin, die Herausforderungen sucht, damit sie nicht auf der Stelle tritt.
Haben Sie sich nie überlegt, im Sommer Ferien zu machen?
Ich liebe die Sommerfestivals viel zu sehr. Und jetzt noch mehr, da ich – etwa die nächsten Wochen in Gstaad – für längere Zeit mit meiner Familie sein kann. Wenn mein Kind in die Schule geht, werden wir uns wohl nach den Schulferien richten.
In Gstaad treten Sie im August mit dem niederländischen Dirigenten Jaap van Zweden auf, mit dem Sie noch nie
musiziert haben. Ist das ein Risiko?
Ein Risiko? Eher eine Chance! Ich freue mich sehr, zum ersten Mal mit ihm aufzutreten, und bin sehr gespannt, denn ich habe viel Gutes von ihm gehört. Dennoch: Ohne Risiko erreicht man nichts in der Kunst, und es harmonieren
nicht alle Musiker miteinander.
Mit welchem Typ Musiker habenSie denn Mühe?
Mit Musikern, die meinen, mich menschlich verführen zu können. Es geht da nicht um das Frau-Mann-Ding. Solche
Musiker geben jedem das Gefühl, Freunde zu sein, und wollen sich auf der Bühne amüsieren. Daraus ergeben sich aber oft oberflächliche Resultate. Wer nur Spass haben will, beginnt gar nie, richtig zu arbeiten, da geht nichts vorwärts. Ich versuche, mit Musikern zu spielen, die mich inspirieren.
Bald erscheint eine gemeinsame CD mit Operndiva Cecilia Bartoli. Eine Musikerin, die Ihnen entspricht?
Es ist ein Traum, mit ihr zu arbeiten, und ich habe von ihr unheimlich viel gelernt. So muss man es machen, dachte
ich immer: Kaum hat sie jeweils einen Fuss auf der Bühne, packt sie das ganze Auditorium – und bei der Aufnahme genauso. Immer war sie interessiert, wenn jemand einen Vorschlag hatte. Diese Aufnahme war für mich eine grosse Lehre.
Sol Gabetta
Sol Gabetta wurde 1981 in Argentinien geboren. Ihre Karriere ist eng mit der Schweiz verbunden: Ihr Lehrer Ivan Monighetti unterrichtete sie in Basel, später lehrte Gabetta selbst dort. 2004 gewann sie in Luzern den Credit Suisse Young Artist Award und debütierte mit den Wiener Philharmonikern triumphal im KKL. Dann zog sie ins aargauische Olsberg, wo sie ein Festival gründete.
Sol Gabetta am Menuhin Festival Gstaad
Bach, Schostakowitsch, Schubert mit dem Hagen Quartett
Mi, 9.8., 19.30 Kirche Saanen
Ravel, Lalo, Tschaikowsky mit dem Gstaad Festival Orchestra unter Jaap van Zweden
Sa, 19.8., 19.30 Festival-Zelt Gstaad
Mit Cecilia Bartoli und Cappella Gabetta
Do, 31.8., 19.30 Kirche Saanen
www.gstaadmenuhinfestival.ch
Menuhin Festival auf Radio SRF 2 Kultur
«Baroque Twitter» mit Nuria Rial und Maurice Steger
Mo, 7.8., 19.30
CD
Sol Gabetta
Live – mit den Berliner Phil-harmonikern unter Sir Simon Rattle
(Sony 2016).