Wir schreiben das Jahr 1821, Graubünden versinkt im Morast. Es herrschen desolate Zustände: Der Kanton wurde von Napoleons Truppen geplündert. Die Bevölkerung leidet Not, Verbrechen sind an der Tagesordnung. Graubünden wird als «Athen der Gauner» verschrien. Ein dreifacher Mord in der Weihermühle bei Bonaduz ruft Entsetzen hervor: Der Hausherr und seine beiden von ihm schwangeren Mägde werden mit Hieb- und Stichwunden in Blutlachen aufgefunden. Baron Johann Heinrich von Mont (Nikolaus Schmid), Polizeidirektor für Ordnung und Sicherheit sowie ein Anhänger von Folter und Todesstrafe, nimmt sich der Aufklärung an. Seine besten Landjäger setzt er auf die Spur des vermeintlichen Mörders an. Doch so einfach, wie es anfangs aussieht, ist die Lösung des Falls nicht …
Sinnbildlich für den sumpfigen Morast im Jahr 1821 versinkt die Bühne im Theater Chur im Dreck: Vier bis fünf Tonnen Erde werden für die Aufführung auf die Bühne gekarrt. Die Schauplätze werden von Nicolo Krättli zudem live gezeichnet und auf eine grosse Leinwand projiziert. So entsteht während der Szene ein Bild, das mit dem Schauspiel korreliert. Die Millimeterarbeit sei eine Herausforderung für die sechs Schauspieler, erklärt Regisseur René Schnoz beim Probenbesuch in Chur.
Schattenspiel
In vielen Szenen sind die Schauspieler als blosse Schattenfiguren zu sehen. «Die Möglichkeiten des Schattentheaters haben mich schon immer fasziniert», sagt er. «Es hat eine gewisse Magie, und es lässt unterschiedliche Effekte zu, etwa, indem man die Figuren verschieden gross erscheinen lässt.» Das durchs Schattentheater fehlende Licht passt zum Stück, welches von der Dunkelheit geprägt ist.
Historisch verbürgt
Beim Probenbesuch ist auf der hell erleuchteten Leinwand eine Zeichnung der Stadt Chur zu sehen. Eine Frau, als blosser Schatten sichtbar, hat es dem Landjäger Rauch (Gian Rupf) angetan: «Macht a gschaffiga Idruck. Und isch scho no hübsch. Oder nit? Villicht nüma grad dia jüngscht. Aber das kann ma vo miar jo au säga», stellt er im breiten Churer Dialekt fest und scharwenzelt um die Frau, die sich als Magd Franziska entpuppt, herum. Er wird allerdings kein Glück haben: Beim vereinbarten Treffen taucht Franziska nicht auf. «In da Kopf vo so ama Wiib ka ma jo nit ina luaga», meint Rauch enttäuscht und macht sich Sorgen, ob wohl etwas passiert sei. Seit die neuen Strassen über den Splügen gebaut worden sind, komme das Gesindel heutzutage ja schnell in den Kanton, ist er überzeugt. Kurze Zeit später fühlt er sich in seiner Meinung bestätigt, als er vom brutalen Mord bei der Mühle Bonaduz erfährt: Denn Franziska gehört zu den Opfern. Landjäger Rauch schwört Rache.
Der Churer Silvio Huonder, der bereits 1997 mit seinem Romandebüt «Adalina» auf sich aufmerksam machte (siehe Seite 31), hat sich selbst der Dramatisierung des historisch verbürgten Stoffs angenommen. Ein Glücksfall, meint Schnoz. Schliesslich kenne Silvio Huonder den Mordfall aus dem 19. Jahrhundert am besten, für den er lange in Gefängnisakten und Verhörprotokollen recherchiert hat.
Der Erzählstrang bleibt sich in der dramatischen Version gleich; der Mord wird auch auf der Bühne aus unterschiedlicher Perspektive von Opfer, Fahnder und Täter beleuchtet. Allerdings reduziert Huonder die zahlreich auftretenden Figuren auf ein Minimum. Die sechs Schauspieler sind meist in zwei Rollen zu sehen.
Mit den unterschiedlichen Dialekten lassen sich die Charaktere gut voneinander unterscheiden: Eine regelrechte «Dialekt-Sinfonie» sei das Stück, meint Schnoz. Sie reicht von Churerdeutsch, über Safientalerdeutsch bis zu Rätoromanisch, Vorarlbergisch und Lindauisch.
Lebhafte Gegenwelt
Die gekürzte Fassung scheint dem Stück gut zu bekommen. Während im Roman manche Stellen etwas gar protokollarisch und nüchtern anmuten, fallen diese Längen in der Bühnenfassung weg. Mit Bildern und Musik will das Theaterteam eine lebhafte Gegenwelt zum manchmal trockenen Stoff schaffen. Der Musiker Andi Schnoz wird auf der Bühne live mit Gitarre und Geräuschen experimentieren, die 34 losen Szenen in einen Rhythmus bringen und zu einem grossen Ganzen verbinden.
Das Sittengemälde, die politischen und sozialen Hintergründe aus vergangener Zeit haben den Regisseur am Roman besonders interessiert. Die Fragen nach Recht und Gerechtigkeit, den Widerspruch zwischen damaliger Galgenjustiz und Humanismus will er auch in seiner Inszenierung aufzeigen.
Aufführung
Die Dunkelheit in den Bergen
Premiere: Di, 4.3., 20.00
Theater Chur
www.theaterchur.ch
Diskussion
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Di, 4.3., 18.30 Theater Chur