Simona Ryser - Literarische Stadtneurosen
Simona Ryser jongliert zwischen ihrer Arbeit als Autorin, Sängerin und Hörspielregisseurin.
Inhalt
Kulturtipp 02/2012
Babina Cathomen
Schreiben und Musik in einem: Simona Rysers neuer Roman «Helenenplatz» klingt wie ein Musikstück mit unterschiedlichen Tempi und wiederkehrenden Motiven. «Auf meine Texte wende ich Kompositionsverfahren an», bestätigt sie. «Ich wähle ein Musikstück und schreibe diesem entlang, versuche die Dynamik, den Rhythmus und den Gestus aufzunehmen.»
Ihre drei Protagonisten sind moderne Stadtmenschen, einsam, neurotisch, auf der Suche na...
Schreiben und Musik in einem: Simona Rysers neuer Roman «Helenenplatz» klingt wie ein Musikstück mit unterschiedlichen Tempi und wiederkehrenden Motiven. «Auf meine Texte wende ich Kompositionsverfahren an», bestätigt sie. «Ich wähle ein Musikstück und schreibe diesem entlang, versuche die Dynamik, den Rhythmus und den Gestus aufzunehmen.»
Ihre drei Protagonisten sind moderne Stadtmenschen, einsam, neurotisch, auf der Suche nach Liebe: Georg, der knapp 40-jährige Gamedesigner in Auszeit, fühlt sich von imaginären Insekten geplagt, die ihn ruhelos durch die Stadt hetzen lassen. Hanna, 50-jährige Treuhänderin mit Burn-out, bleibt schlaflos, stiehlt in Kaufhäusern und hört ständig das Pfeifen einer Fledermaus im Ohr. Nur die junge, tüchtige Sabine, Hannas Sekretärin, will hoch hinaus: Mehr und mehr übernimmt sie Hannas Arbeit und schliesslich auch fast deren Identität.
Anonymität geniessen
Nach einem erdrückenden Winter hält mit dem Frühling beschwingte Leichtigkeit Einzug in der Stadt – und lässt einen Hoffnungsschimmer für die drei liebesbedürftigen Stadtneurotiker aufscheinen. «Anfangs war nur klar, dass der Schneefall eine Zäsur ist und dass der dritte Teil ein Remix des ersten Teils sein wird», erinnert sich die Autorin. Die Protagonisten hingegen haben ihre Eigendynamik entwickelt: «Ich muss die Figuren spüren und möchte sie nicht wie Schachfiguren gegeneinander ausspielen.»
Die Stadt ist ein Thema, das sich durch Rysers Werk zieht. Bereits in ihrem ersten Roman «Maries Gespenster» lässt sich die Protagonistin durch die Stadtschluchten treiben. «Ich geniesse es selbst, mich in der Stadt zu verlieren, wo man in der Anonymität eine psychische Distanz zum Alltag erhält», sagt Ryser, die in Kilchberg ZH aufgewachsen ist und seit 20 Jahren in Zürich lebt.
Die 42-Jährige hat sich ihre Leidenschaften zum Beruf gemacht. Nach ihrer Lehre als Verlagsbuchhändlerin sowie einem Philosophie- und Literaturstudium hat sie sich zur Opernsängerin ausgebildet. «Singen ist für mich etwas vom Beglückendsten, was es gibt. Daraus entsteht eine Energie – wie ein Tiger in mir drin – die alles durchputzt», schwärmt sie. Ihre blauen Augen verlieren ihren träumerischen Ausdruck und leuchten auf.
Natur zum Auftanken
Mit der Gruppe «Szene und Musik» realisiert sie einmal im Jahr ein kammermusikalisches Projekt, bei dem Musik über Grenzen hinweg entstehen soll. So mischt sie etwa zeitgenössische Musik und Schubert mit Improvisation. «Schubert ist zu gut, als dass man ihn nur museal tradieren könnte», meint sie.
Als Brücke zwischen Literatur und Musik sieht sie das Hörspiel: «Ich dachte lange, die beiden Bereiche seien unvereinbar, bis ich das Genre für mich entdeckt habe.» Der Hörspielregisseurin ist die enge Zusammenarbeit mit Musikern wichtig: Geräusche, Effekte und Musik verwebt sie zu einer kunstvollen Textkomposition. In diesem Jahr konzipiert sie ein Stück für Deutschlandradio.
Ihr Leben erscheint Ryser manchmal als «logistische Akrobatik». Zumal sie nebst ihren drei künstlerischen Standbeinen Zeit für Mann und Kind aufbringen möchte. Beim Waldspaziergang zu dritt tankt sie in der Natur auf – trotz literarischem Flair für die Stadt.
[Buch]
Simona Ryser
«Helenenplatz»
140 Seiten
(Limmat Verlag 2011).
[/Buch]