Silvio Huonder - Von schlaflosen Nächten in finsteren Zeiten
Silvio Huonder rollt in seinem Roman «Die Dunkelheit in den Bergen» einen historischen Kriminalfall auf.
Inhalt
Kulturtipp 20/2012
Babina Cathomen
Auf dem Galgenhügel in Chur baumelt ein von Krähen zerfressener Leichnam am Strick. Warum der Frevler dort hängt, deckt Autor Silvio Huonder in «Die Dunkelheit in den Bergen» nach und nach auf. Der in der Nähe von Berlin lebende Bündner hat sich für seinen neuen Roman ein düsteres Kapitel in der Geschichte seines Kantons ausgesucht. Der historisch verbürgte Fall von 1821 dreht sich um einen dreifachen Mord in der Mühle bei Bonaduz:...
Auf dem Galgenhügel in Chur baumelt ein von Krähen zerfressener Leichnam am Strick. Warum der Frevler dort hängt, deckt Autor Silvio Huonder in «Die Dunkelheit in den Bergen» nach und nach auf. Der in der Nähe von Berlin lebende Bündner hat sich für seinen neuen Roman ein düsteres Kapitel in der Geschichte seines Kantons ausgesucht. Der historisch verbürgte Fall von 1821 dreht sich um einen dreifachen Mord in der Mühle bei Bonaduz: Der Hausherr, seine neue und seine ehemalige Magd – beide von ihm schwanger – wurden brutal erstochen. Baron Johann Heinrich von Mont schickt zwei Landjäger aus, die sich einem vermutlichen Übeltäter an die Fersen heften. Durch die wild-raue Landschaft des Safientals verfolgen sie ihn bis Splügen. Nach seiner Verhaftung taucht die Frage nach Mittätern auf.
Präzises Bild
Für die Romanrecherche hat sich Huonder in die Bündner Geschichte und in Gefängnisakten sowie Verhörprotokolle eingelesen. Dadurch entwirft er ein präzises Bild der Bündner Gesellschaft im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, die nach dem Eingreifen von Napoleons Truppen von Armut und Anarchie geprägt war. Am Rande erfährt die Leserschaft einige amüsante Details: Etwa dass die Kutschenfahrt von Chur nach Zürich «nur» noch 24 Stunden dauerte. Oder dass im Kanton mit 300 verschiedenen Münzen bezahlt werden konnte.
Die historischen Hintergründe und den Kriminalfall beleuchtet Huonder aus verschiedenen Perspektiven. Den Fokus legt er auf den Baron, der als Polizeidirektor für Ordnung und Sicherheit im Kanton zuständig ist. Dieser erlebt wegen der herrschenden rohen Sitten einige schlaflose Nächte. Seine Figur macht auch den Konflikt zwischen Gerechtigkeit und Gesetz deutlich. «Nun war er es, der mit Härte gegen das Lumpengesindel vorging. Es waren erbarmungswürdige Kreaturen, aber Gesetz war Gesetz. Das Gesetz verlor seine Kraft, wenn es nach Gutdünken und um der Barmherzigkeit willen aufgeweicht würde», sagt sich der Baron. Huonder zeichnet ihn als zwar einfühlsamen, aber prinzipientreuen Menschen, der auch vor der damals üblichen Folter von Gefangenen nicht zurückschreckt.
Streckenweise gerät der Ton gar protokollarisch, etwa bei den Zeugenaussagen, die sich wohl eng an die Original-Dokumente halten. Philosophische Fragestellungen werden zwar angetönt, aber nicht weiter ausgeführt. Sein Werk reiht sich in die historischen Romane im Stil von Lukas Hartmanns «Räuberleben». Atmosphäre, wie Huonder sie etwa in seinem wunderbaren Erstling «Adalina» (1997) schafft, erzeugt der Autor im neuen Roman nicht immer. Dennoch: Ein spannender, gut gebauter Krimi für historisch Interessierte.
[Buch]
Silvio Huonder
«Die Dunkelheit
in den Bergen»
224 Seiten
(Nagel & Kimche 2012)
[/Buch]
Drei Fragen an Silvio Huonder
kulturtipp: Herr Huonder, Sie leben seit 1990 in Deutschland. Ihr neuer historischer Roman spielt wie Ihre zwei ersten Bücher in Ihrem Heimatkanton Graubünden. Was hat Sie dazu bewogen, wieder zurück zu den Wurzeln zu gehen?
Silvio Huonder: In dieser Landschaft kenne ich mich einfach am besten aus. Ich bin regelmässig in Graubünden und habe auch immer wieder mal Erzählungen geschrieben, die dort spielen.
Die Idee zum Roman entstand bereits 1978 bei einer Vorlesung zu Leben und Werk von Johann Heinrich Pestalozzi. Wie sind Sie über diesen Umweg auf den Kriminalfall von 1821 gestossen?
In einem Pfadilager in Bonaduz sah ich zum ersten Mal die leerstehende, unheimliche Weihermühle. Später fand ich in der Bündner Kantonsbibliothek einen Zeitungsartikel über ein Verbrechen, das 1821 in dieser Mühle stattgefunden hatte. In den Pestalozzi-Vorlesungen wuchs die Geschichte heran. Die inzwischen stark vergilbten Kopien und die Romanidee habe ich während meiner ganzen Autorenlaufbahn mit mir herumgetragen, bis ich mich vor zwei Jahren entschloss, die Arbeit endlich in Angriff zu nehmen.
Was interessiert Sie besonders an der finsteren Zeit des 19. Jahrhunderts?
Das 19. Jahrhundert ist wahnsinnig interessant, ein Nebeneinander von alten Gepflogenheiten wie Folter, Pranger, Todesstrafe und Erfindungen, welche das Leben rasant veränderten: Elektrizität, Gasbeleuchtung, Dampfmaschinen. Das war natürlich auch mit philosophischen, sozialen und politischen Fragen verbunden, die neu beantwortet werden wollten und heute noch aktuell sind. Wie hart oder milde sollen wir etwa mit Straftätern umgehen? Wie gerecht ist das Recht?