Hammerschläge und Bohrgeräusche hallen durch die hohen Räume im Stapferhaus im aargauischen Lenzburg. Der Aufbau zur neuen Ausstellung «Geschlecht» ist in vollem Gang. Mittendrin Sibylle Lichtensteiger, die mit Schwung die Räume durchschreitet, da jemandem zuwinkt, dort einen Kommentar abgibt oder gleich selbst mit anpackt. «Mit der neuen Schau wollen wir zeigen, dass Geschlecht weit mehr ist als nur Biologie», sagt die 51-jährige Thurgauerin bei einem Rundgang durchs Haus und weist in einen rosarot und einen hellblau dekorierten Raum. Hier werden all die Prägungen durch Bücher, Kleider und andere Produkte ersichtlich, die Mädchen und Jungs bereits früh erfahren.
«Es war Liebe auf den ersten Blick»
Wie immer in ihren Ausstellungen zu aktuellen Gesellschaftsthemen will die Kuratorin nicht einfach trockene Fakten liefern, sondern zum aktiven Mitmachen und Diskutieren animieren. So lässt sich nun etwa mit Stöckelschuhen über einen Lauf-steg stolzieren, um zu erforschen, welchen Einfluss Bewegung und Inszenierung auf die eigene Geschlechterwahrnehmung haben. Hörstationen widmen sich Porträts von Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtergeschichten: vom alleinerziehenden Vater bis zu jemandem, der eine Geschlechtsumwandlung hinter sich hat.
Seit über 20 Jahren ist Sibylle Lichtensteiger beim Stapferhaus festangestellt, davor hat sie dort bereits als Studentin Führungen gemacht. «Es war Liebe auf den ersten Blick», sagt sie lachend. «Aber natürlich hätte ich nie gedacht, dass ich so lange bleibe.» Langweilig wird es ihr nicht: «Wir können hier in allen erdenklichen Inszenierungsformen Geschichten erzählen – mit Ton, Film, Bildern, Objekten.» Was die Welt zusammenhält, habe sie schon immer interessiert. «Für gesellschaftliche Fragen kann ich mich leidenschaftlich begeistern», sagt die Historikerin und Germanistin, der das Vermitteln mehr liegt als das wissenschaftliche Arbeiten im stillen Kämmerlein. Und der Erfolg gibt ihr recht, denn das Stapferhaus schafft es, Gesellschaftsthemen einem breiten Publikum auf sinnliche Weise erfahrbar zu machen.
Als ihre beiden Töchter klein waren, hatte Lichtensteiger, die mit ihrer Familie in Zürich lebt, die Co-Leitung im Stapferhaus inne, seit 2012 ist sie alleinige Leiterin. Heute geben ihr die beiden Teenie-Töchter manche Inputs zu Ausstellungsthemen, die auch polarisieren dürfen. Gerade beim Thema Geschlecht sei die jugendliche Perspektive besonders interessant. Die Schau soll sich aber wie immer an alle Generationen richten. Am schönsten findet sie es ohnehin, wenn etwa die Grosseltern mit ihren Enkelkindern kommen und zusammen über das Leben philosophieren.
Ausstellung
Geschlecht
So, 1.11.–So, 31.10.2021
Stapferhaus Lenzburg AG
Sibylle Lichtensteigers Kulturtipps
Buch
Rutger Bregman: Im Grunde gut (Rowohlt 2020)
«Der holländische Historiker Rutger Bregman bietet eine optimistische Interpretation der Geschichte der Menschheit. Ein spannender Ansatz.»
Podcast
Unter Pfarrerstöchtern
«Eine Podcast-Serie der ‹Zeit›: erfrischende Gespräche über die Bibel, Gott und die Welt sowie unser kulturelles Erbe.»
Ausstellung
Devided we stand
«Im Vorfeld der US-Wahlen besonders interessant: eine Ausstellung von Braschler/Fischer im Rahmen des Fotofestivals Lenzburg mit Porträts aus einem gespaltenen Land.»
Bis So, 15.11. Stapferhaus Lenzburg AG