Unheilbringende Vögel kennt das Publikum nicht erst seit Hitchcocks Horrorfilm «Die Vögel». In Sibylle Bergs neuem Theaterstück verbreiten nun Waldrappen eine unheimliche Stimmung. Die schwarzgefiederten Vögel mit dem langen roten Schnabel lauern überall und kommentieren die Weltlage: «Jährlich sterben 16 Millionen männliche Menschen aus emotionalen, gleichsam sexuellen Gründen, sie erdrosseln sich in Schränken bei autoerotischen Spielen, sie verenden an gebrochenem Herzen …»
In Sibylle Bergs Stück herrscht einmal mehr das Grauen: Es spielt in einer verlassenen Villa in den jurassischen Wäldern. Draussen tobt der Bürgerkrieg – salafistische Milizen kämpfen gegen nationalistische Wutbürger. Chaos überall. Kein Strom, kein Internet. Die Villa dient als Refugium im umkämpften Gebiet. Entspannung verspricht der Rückzugsort allerdings nicht: In der Luft hängt ein Geruch nach Verwesung, auf dem Boden kleben dunkelrote Flecken, wispernde Stimmen und ferne Schreie stören die Ruhe, unbekannte Tiere huschen durchs Gehölz …
In vier Szenen treffen wechselnde Hausbesitzer als Paare aufeinander: Ein verängstigter Angestellter und seine resolute Chefin, von der er sich vergeblich ein bisschen (sexuellen) Trost erhofft. Ein Mann und seine russische Geliebte aus dem Internet, die sich zu seiner Enttäuschung als viel zu gescheit herausstellt. Ein Computer-Nerd, dessen Cyborg-Experiment schiefläuft – seiner Vernichtung steht die Freundin gleichgültig gegenüber: «Jetzt werd nicht launisch. Ich bin sicher, dass in einer anderen Galaxie ein funktionierendes Web existiert, in dem dein Experiment gerade als Durchbruch gefeiert wird.» Und ein Vater, der sich von seiner tätowierten «Monster»-Tochter entfremdet hat. In ihrem Zimmer hortet sie Bücher mit dem Titel «Länger leben durch gezielte Entmannung».
Gestörte Verständigung
Die Frauen sind an der Macht in Bergs Zukunfts-Szenario, aber die Kommunikation und die Verständigung zwischen den Geschlechtern sind gestörter denn je. Die Welt ist zu einer Gesellschaft der hohlen Phrasen verkommen.
Die in Zürich lebende Schweizer Schriftstellerin Sibylle Berg richtet in der Uraufführung im Theater Neumarkt mit der grossen Kelle an, wie sie sagt: «Video, Choreografie, Musik, zwei Starschauspieler, vier junge Schauspielerinnen – als ob wir an der grossen Burgtheater-Bühne wären.» Die Hauptrollen übernehmen zwei Ensemble-Mitglieder aus dem Burgtheater Wien: Caroline Peters («Mord mit Aussicht») und Marcus Kiepe.
Mit schwarzem Humor
Trotz düsterem Szenario soll das Publikum den Theatersaal am Ende «gerührt, beschwingt, mit guter Laune» verlassen, wie Sibylle Berg versichert, die sich selbst nicht als Zynikerin bezeichnen mag. Die Zuschauer erwartet die bewährte bergsche Mischung, die auch ihre Romane auszeichnet: Eine spitzzüngige Analyse der
gesellschaftlichen Verhältnisse, bei der einem das Lachen im Gesicht gefriert – und mit Sanftheit getarnte Schonungslosigkeit. Schliesslich kommt auch der schwarze Humor nicht zu kurz in ihrem Stück. Trocken meint die Autorin: «Was sollte denn sonst helfen, mit einem sehr befristeten Leben klarzukommen?»
Der Mann im Fokus
Sibylle Bergs Stück ist Teil der Reihe «Mad Men» im Theater Neumarkt in Zürich. Das Ensemble nimmt darin das Männerbild unter die Lupe und fragt: Wie viel Macht hat der Mann heute noch? In Zeiten von Sepp Blatter, Wladimir Putin und Silvio Berlusconi hat er mit einem angekratzten Image zu kämpfen.
Bis im Dezember gehen drei weitere Produktionen der Männerseele auf den Grund: «Candide oder der Optimismus» frei nach Voltaires Satire, «Der Bau» – eine unterirdische Männerfantasie nach Franz Kafka und «Herr Puntila und sein Knecht Matti» von Bertolt Brecht.
www.theaterneumarkt.ch
How To Sell A Murder House
Premiere: Do, 8.10., 20.00 Theater Neumarkt Zürich
Fünf Fragen an Sibylle Berg
«Die Männer sind verunsichert»
kulturtipp: Wie sieht das Endzeit-Szenario in Ihren Augen aus?
Sibylle Berg: Das Stück spielt in ein paar Jahren: Das Klima hat sich tatsächlich verändert. Es gibt Hurrikans, Überschwemmungen, die Gletscher sind geschmolzen, der Meeresspiegel ist angestiegen, die Seen über die Ufer getreten. Die Welt ist auf Völkerwanderung, auf Wasser- und Rohstoffsuche, auf Flucht vor Fundamentalisten – und nicht einmal die SVP kann uns davor schützen. Aber es ist gelungen, die Menschen gegeneinander aufzubringen. In den Städten bekriegen sich Männer aller Religionen und Volkszugehörigkeiten, die dadurch freigewordenen Ämter wurden von Frauen eingenommen. Unrealistisch, ich weiss.
Gibt es doch noch Hoffnung für die Menschheit?
Aber natürlich. Ich glaube, man könnte gewaltig gegen eine kollabierende Welt vorgehen, wenn man Gier und Dummheit der Menschen ausschalten könnte.
Männer nehmen in Ihrem Stück eine unrühmliche Rolle ein. Der Mann als Auslaufmodell also?
Nein, das stimmt so nicht. In meinem Stück scheitern Männer an der zunehmenden Komplexität der Welt. Es scheint ihnen nicht zu gelingen, Macht abzugeben und sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren. Die Männer in meinem Stück sind zutiefst verunsichert.
Die Frauen sind in Ihrem Szenario an der Macht. Dennoch herrscht Chaos ... Können es die Frauen also auch nicht besser?
Warum sollten Frauen irgendetwas besser können? Gleichberechtigung wäre, wenn Frauen alles genauso gut oder schlecht machen können wie Männer, auch in Chefinnen-Positionen.
Sie sind vor allem als Roman-Autorin und Dramatikerin bekannt. Was reizt Sie an der Regie-Arbeit?
Ich habe sehr viele nicht sehr gute Inszenierungen meiner Stücke gesehen, und wie ich sagte: Ich möchte das Recht haben, es im Zweifel selber schlecht zu machen.