So klingt Klaustrophobie: Dumpf rumst die Luke zu und wird mit einem metallischen Rattern verriegelt. Geräusche, die wohl so resolut und endgültig tönen sollen – schliesslich muss ein Atom-U-Boot einiges an Druck aushalten, wenn es sich in der Tiefe des Ozeans versteckt. Willkommen an Bord der «HMS Vigil». So bald wird die nicht wieder auftauchen.
Mit einem mulmigen Gefühl lauscht DCI Amy Sylva (Suranne Jones) in der BBC-Serie «Vigil» dem Ächzen des abtauchenden Unterseebootes. Die Kriminalkommissarin soll im Todesfall eines Besatzungsmitglieds ermitteln. Nur: Grossbritanniens nukleare Abschreckung muss ungebrochen bleiben, also darf die mit Trident-Atomraketen bestückte «Vigil» die Patrouille nicht abbrechen. Der Sechsteiler ist eine Art Agatha-Christie-Krimi im Unterseeboot. Der BBC bescherte er Rekord-Einschaltquoten, Arte zeigt ihn nun an zwei Abenden.
Interessantes Motiv für Autoren und Filmemacher
Abtauchen – das fasziniert uns ebenso lange schon wie das Fliegen. Seit der Antike tüftelt der Mensch an Taucherglocken aus Holz, an Luftschnorcheln aus Leder, an Unterwasserruderbooten. Doch erst ab dem späten 19. Jahrhundert entstehen dank industriell hergestelltem Stahl und der Erfindung des Akkus die ersten seetüchtigen U-Boote. Mit dem 20. Jahrhundert bricht schliesslich endgültig das Zeitalter des Unterseeboots an: In den beiden Weltkriegen wird es zur gefürchteten Waffe, während des Kalten Krieges zum Werkzeug des Drohens und dazwischen zum Fahrzeug, das die Menschen in die exotische Welt der Tiefsee vordringen lässt.
Diese Ambivalenz macht das Gefährt als Motiv auch für Schriftsteller und Filmemacher interessant. In der Fiktion ist das U-Boot Abenteuer-Vehikel oder schreckliche Waffe, Schutzraum, Gefängnis oder Sarg. Schon Jules Verne schöpft diese Gegensätze 1869 in seinem Roman «20 000 Meilen unter dem Meer» aus. Für die Erzählfigur Professor Annorax wird die Fahrt an Bord der «Nautilus» zu einer aufregenden Reise in unbekannte Unterwasserwelten. Dem Besitzer Kapitän Nemo wiederum dient sein U-Boot zur Zivilisationsflucht und als Rachewerkzeug.
Bedrohliche Körper im Dunkel des Meeres
Nebst der «Nautilus» ging auch die «U96» ins kollektive Gedächtnis ein. Das deutsche Kriegs-U-Boot aus Lothar-Günther Buchheims Roman «Das Boot» wurde vor allem durch Wolfgang Petersens gleichnamige Verfilmung weltberühmt. Petersens Film von 1981 beeindruckt bis heute: Die Bilder der Handkamera holen einen mitten in die klaustrophobische Enge der «U96». Dort verdichten sich alle Widersprüchlichkeiten, all das Menschenverachtende des Zweiten Weltkriegs. Ideologische Bruchlinien öffnen sich zwischen den älteren Seefahrern und den jüngeren, Hitler-treuen «Marschierern». Das anfängliche Gefühl von Abenteuer weicht rasch der harschen Realität: Auf langweilige «Gammelfahrten» folgt die Todesangst vor den Wasserbomben der alliierten Zerstörer. Je länger «U96» auf See ist, desto stärker gleichen sich die bleichen Gesichter ihrer Besatzung: Übermüdete und zermürbte Geister an Bord eines U-Boot-Körpers, der im Dunkel des Meeres an einen Sarg erinnert.
Das U-Boot als Waffe lässt Autoren und Regisseure auch im Kalten Krieg nicht los. Im Gegenteil. Ab den 1950ern wird dieses Gefährt bedrohlich und zugleich faszinierend wie nie zuvor. Mit Nuklearwaffen bestückt und atomar angetrieben, schleichen Boote der US-Amerikaner und der Russen pausenlos durch den Nordatlantik. Dunkle Kolosse, Symbole für den ständig drohenden Atomkrieg. Nevil Shute macht ein solches Boot 1957 zum Schauplatz seines Romans «Das letzte Ufer». Eine U-Boot-Crew sucht Nordamerika nach den letzten Überlebenden eines Atomkrieges ab. In einer verstrahlten Welt ist die «USS Scorpion» für sie der letzte Schutzbunker.
Utopie-Gefährte und Abenteuer-Maschinen
Ab den 1980ern entsteht um das Atom-U-Boot schliesslich ein ganzes Genre: der Marine-Thriller. Romane wie Tom Clancys «Jagd auf Roter Oktober» oder Patrick Robinsons «Nimitz Class», Filme wie «Crimson Tide» oder «Hostile Waters» bedienen Technikfaszination und exorzieren zugleich Jahrzehnte der Angst vor einem dritten Weltkrieg. Die U-Boote werden hier zu Bühnen, auf denen die Menschlichkeit immer wieder von neuem gegen kampflustige Krieger und blinde Ideologen verteidigt werden muss.
Und doch gibt es auch die anderen U-Boote, die Utopie-Gefährte und fantastischen Abenteuer-Maschinen. Man erinnere sich nur an den psychedelischen Beatles-Film «Yellow Submarine», dessen titelgebendes, nett surrendes Unterseeboot 1968 Musik und Freude zurück nach Pepperland bringt. Oder das Science-Fiction-Boot der Serie «Seaquest DSV», das ab 1993 für den Schutz der Meere und einen überlegten Umgang mit Ressourcen patrouilliert.
«Vigil» als Unterwasser-Kammerspiel
In Jana Walczyks und Andrea Katzenbergers Bilderbuch «Als die Namen verloren gingen» wird ein imaginäres U-Boot für Jakob zum Ort der Geborgenheit. In sein gemütliches Tauchgefährt zieht er sich zurück, wenn seine Eltern streiten.
So knüpft «Vigil» in vielerlei Hinsicht an die Tradition der U-Boot-Fiktion an. Die Serie ist über weite Teile ein Unterwasser-Kammerspiel, das Krimi und persönliche Dramen, Gesellschafts- und Polit-Fragen vereint. Die Protagonistin Amy Sylva wird in der Enge der «HMS Vigil» mit dem traumatischen Unfalltod ihres Partners konfrontiert. Ihr Fall wiederum lässt Jahrzehnte schottischer Anti-Atomwaffen-Proteste sowie neue Spannungen zwischen Russland und dem Westen durchschimmern. Die «HMS Vigil» gleitet derweil ruhig durch den Nordatlantik. Ein faszinierender Körper im dunklen Ozean. Eine bedrohliche Waffe. Oder vielleicht gar selber bedroht?
Vigil
1–3/6: Do, 13.1., 21.50 Arte
4–6/6: Do, 20.1., 22.00 Arte