kulturtipp: Frank Peter Zimmermann, nur noch Sänger verkaufen sich so gut wie Geiger. Warum bewegen Geiger die Welt?
Frank Peter Zimmermann: Die Geige heisst Königin der Instrumente. Wenn man uns mit den anderen Streichern vergleicht, sind wir Geiger repertoiremässig sehr reich beschenkt – darunter sind wahre Schlachtrösser von Werken. Die Geige kann sich nun mal alleine von der Tonhöhe her besser über einem Orchester absetzen als eine Bratsche.
Sie erklären den Geigenzauber rational?
Ja. Und deswegen gab es immer wieder grosse, faszinierende Geigerpersönlichkeiten. Von der Primadonna bis zum stillen Kammermusiker: Jascha Heifetz, der Urvirtuose, oder Arthur Grumiaux, der als Kammermusiker mit Bach und Mozart seine Karriere machte.
Die Steigerung des Virtuosen ist der Teufelsgeiger. Hebt dieser Zauberer die Geige über die anderen Instrumente hinaus?
In Europa fällt mir das nicht so auf, aber in China und in den USA schon. Dort spüre ich auf dem Podium einen Druck: Die wollen nur Artistik sehen. Bachs Sonaten würde ich niemals nach China bringen.
Es gibt nicht nur Teufelsgeiger, sondern auch Schnulzengeiger wie Helmut Zacharias, André Rieu oder David Garrett. Alle weltberühmt. Offenbar ist die Geige sowohl elitär als auch volksnah. Taugt sie zum Schindluder?
Sie taugt zu allem! Schauen Sie die unterschiedlichen Bauarten in Norwegen, in Irland oder Schottland an! Die Geige ist ein Instrument, das man einfach mit sich tragen kann, es strahlt Intimität aus.
Sie sind erst 48, aber ein alter Hase in der Klassikszene: Sie sind mehr als 30 Jahre auf der Bühne. Was hat sich dort zum Guten verändert?
Es wird nicht leichter. Ich muss mehr arbeiten, denn ich werde kritischer und setze die Messlatte höher. Aber ich erhalte dafür eine andere Art von Anerkennung. Leute, die mich kritisch beäugten, akzeptieren mich jetzt, freuen sich gar, wenn ich wiederkomme. Da kann man anders arbeiten, auch mit den Orchestern. Ich sage den Musikern heute viele Dinge, um noch besser zu den Details zu gelangen. Das tat ich früher nicht. Da hätten die gesagt: Was will der eigentlich?
Sagen Sie heute auch öfters Nein? Einst liessen Sie verlauten, man müsse halt vieles mitmachen, um dabei zu bleiben.
Das wurde falsch verstanden. Ich habe mich nie zwingen lassen, etwas zu tun. So habe ich mir auch in jungen Jahren Manager ausgesucht, die vielleicht nicht so einflussreich waren wie gewisse Kaliber in Amerika oder England. Aber sie begriffen, was ich wollte – selbst mitentscheiden, auch wenn ich drei Umwege gehen musste. Ich wollte jene Werke dort spielen, wo ich mich hingezogen fühlte. Niemand musste mir etwas sagen. Diese Selbstbestimmung ist neben der Stille der grösste Luxus in meinem Leben.
Sie fingen an, mit fünf Jahren Geige zu spielen – und zwar zu Hause. Ein guter Entscheid Ihrer Eltern?
Es war ein grosses Glück, das Geigenspiel mit meinen Eltern zu lernen; die waren keine Solisten, aber gute Musiker. Zusammen mit den Orchesterkollegen meines Vaters spielten wir viel Kammermusik. Ich wurde damit gross. Hinter dem Spiel war immer eine grosse Freude – das war fast ein Lebensausgleich. Alles verlief spielerisch.
Ist die Art der Ausbildung in den ersten Jahren eigentlich entscheidend für die Karriere?
Sehr! Ich sehe es heute in Asien. Wenn dort Kinder geradezu gedrillt werden, woran haben die dann mit 25 noch Freude? Mit 20 Jahren können sie schon alles spielen, haben alle Wettbewerbe gewonnen – denn man kann mit Üben viel erreichen. Aber der Background? Mit fünf Jahren spielt man voller Freude ein Trio von Ignaz Josef Pleyel und paukt nicht Etüden. Das kam bei mir ab 10 Jahren, sonst hätte ich nicht mit 19 Jahren die Capricen von Paganini gespielt.
Ich habe mal über Sie geschrieben: «Er ist so gut, weil er einfach nur das macht, was er am besten von allen kann: Geige spielen.» Offenbart der Satz auch Ihre Schwäche?
Ja – in gewisser Weise schon. Ich verkaufe mich wohl zu schlecht. Dieses ganze Drumherum mache ich halt nicht mit – ich gehe auch nicht an die Sponsorenevents bei Festivals. Aber schauen Sie: Meine grossen Vorbilder am Klavier, Arturo Benedetti Michelangeli und Sviatoslav Richter: Wenn ich mich mit denen vergleiche, dann bin ich ja ziemlich normal. Ich erinnere mich an Michelangelis letztes Konzert in München: Kaum war der letzte Ton verhallt, setzte Toben ein. Das dauerte 15 Minuten. Aber da war er schon lange weg.
Er kam nicht einmal mehr auf die Bühne, um sich zu verbeugen.
Frank Peter Zimmermann
Frank Peter Zimmermann wurde 1965 in Duisburg geboren. Mit elf Jahren gewann er den Wettbewerb Jugend musiziert. Seit dem Ende seiner Studien 1985 trat er mit den bekanntesten Orchestern und Dirigenten der Welt auf. Früh nahm er für EMI die Standardwerke auf, später bei Sony, heute bei BIS. Seit 2007 besteht das Trio
Zimmermann mit Frank Peter Zimmermann, Violine, Antoine Tamestit, Viola, und Christian Poltéra, Violoncello. Zimmermann spielt derzeit die ehemals Fritz Kreisler gehörende Stradivari «Lady Inchiquin» von 1711. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Köln.
CDs
Hindemith: Violinkonzert und Violinsonaten (BIS 2013).
Bach: Sonaten für Violine und Klavier BWV 1014–1019 (Sony 2007).
Szymanowski: Violinkonzert 1+2 / Britten: Violinkonzert (Sony 2009).
Konzerte in der Tonhalle Zürich
Mi, 16.10.–Fr, 18.10.
Jew. 19.30
Violinkonzert von Johannes Brahms u.a.
Tonhalle-Orchester
Leitung: David Zinman
Mo, 7.4., 19.30
Kammermusik-Soiree
Trio Zimmermann: Beethoven, Webern, Mozart
Do/Fr, 8.5./9.5., jew. 19.30
Bartok Violinkonzert Nr. 1 u.a.
Tonhalle-Orchester
Ltg.: Christoph von Dohnányi