Der kann etwas erzählen! Ob im Fernsehen, am Radio – oder beim Gespräch im Zürcher Seefeld-Quartier: Der Zuhörer verfällt Ingo Metzmachers Kommunikationskunst schnell. Der Dirigent kann die Qualitäten der Wiener Philharmoniker mit einer kommunistischen Kommune vergleichen. Oder er kann von der Oper als Gesamtkunstwerk schwärmen wie ein famoser Fantast von einer neuen Kunstform. Kein Wunder, hat er bereits zwei für ihn beispielhafte Bücher geschrieben: «Keine Angst vor neuen Tönen» und «Vorhang auf! – Oper entdecken und erleben».
Kaum war der 1957 in Hannover geborene Metzmacher als junger Pianist beim Ensemble Modern glücklich geworden, wurde klar: Dieser musikalische Kopf will und muss weiterdenken. Metzmacher konnte nicht einfach erfüllen, was ihm vorgegeben wurde: Er hatte schon an der Universität damit gehadert, dass die Musikwelt wenig mit dem zu tun hatte, wie er sie sich dachte. Da er etwas daran verändern wollte, musste er geradezu Dirigent werden.
Lust auf mehr
Als Dirigent wuchs Metzmachers Lust, Ungewöhnliches auf die Beine zu stellen. Doch parallel zu seinen freien Aktivitäten liess er sich vom normalen Betrieb einnehmen – heute wäre er froh, er dürfte wieder eine feste Chefposition besetzen. «Das einzige Wertvolle, das man tun kann, ist eine nachhaltige Arbeit», sagt er.
In Genf arbeitet Metzmacher zurzeit am grössten Werk, das die Oper regelmässig spielt: An Richard Wagners vierteiligem, mit 16 Stunden Musik angereichertem «Ring des Nibelungen». Regie-Partner ist der 78-jährige Dieter Dorn, von dem der Dirigent schwärmt. «Die Zusammenarbeit mit Dieter Dorn ist ausgesprochen angenehm. Er verfügt über genaue Kenntnis und ein tiefes Verständnis der Musik. Daraus entwickelt er höchst sensibel seine szenische Deutung. Auf die Premiere der Walküre freue ich mich sehr.»
Metzmacher geht es bei der Beschäftigung mit der Oper nicht nur um sein Orchester. In «Vorhang auf!» schreibt er von einem idealen Schulterschluss zwischen Dirigent und Regisseur. Dafür investiert er viel Zeit – und Worte: «In der Opernwelt werden Dirigent und Regisseur – auch von der Kritik! – sehr oft gegeneinander ausgespielt, wenn sie es nicht schon selber betreiben. Mich interessieren der theatralische Effekt und somit jene Regisseure, die der musikalische Aspekt neugierig macht.» Erst dann komme man gemeinsam zu Ergebnissen, «die guten Opern angemessen sind».
Der Mann für Raritäten
Als Metzmacher 1997 Generalmusikdirektor der Staatsoper in Hamburg wurde, konnte er den erstrebten Idealzustand zwischen Regisseur und Dirigent herstellen. Teilweise zumindest, denn er hatte zu viel um die Ohren, als dass er sich ganz aufs Wesentliche hätte konzentrieren können. Alexander Pereira gab ihm in Zürich immer wieder reizvolle Aufgaben. Bei dessen Nachfolger Andreas Homoki ist Metzmacher nicht mehr gefragt.
Heute zieht er als Gast durch die Musikwelt – mit dem Ruf, der Mann fürs Neue, für die Rarität oder fürs Deutsche zu sein. Eine heikle Geschichte. Als er in Berlin am 3. Oktober 2007, dem Tag der Deutschen Einheit, Hans Pfitzners Kantate «Von deutscher Seele» aufführte, löste er eine gewaltige Debatte aus, der Zentralrat der Juden kritisierte ihn schwer. Es hatte nichts genützt, dass er bereits im Vorfeld die antisemitischen Äusserungen Pfitzners verurteilt hatte.
Bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass Metzmacher sich weniger für die zeitgenössische Musik als vielmehr für die vernachlässigten Klassiker des 20. Jahrhunderts interessiert: Olivier Messiaen, Karl Amadeus Hartmann, Edgar Varèse oder Harrison Birtwistle. «Ich hatte das Glück, die Giganten Karlheinz Stockhausen und Luigi Nono persönlich kennenzulernen. Komponisten dieser Statur höre ich heute nicht. Bei Nono spürte ich immer, dass diese Musik eine Vision hat. Da wird fast unbarmherzig eine Utopie formuliert. Das tut auch weh.»
Jetzt wird Metzmacher 56 – kein einfaches Künstleralter: Metzmacher nimmt es gelassen, versucht, seine Projekte zu verwirklichen: «Die Orchester spüren sehr gut, ob einer authentisch ist. Wer jung ist, kann ein paar Jahre Wirbel machen – aber nicht über Jahrzehnte. Je länger man in diesem Beruf ist, umso treuer muss man sich bleiben. Man muss die Liebe zur Musik behalten, darf nicht zynisch werden. Das Publikum und das Orchester spüren eine nachhaltige Kraft. Die Jungen sollen erst einmal ihre Erfahrungen machen. Man braucht viel Kraft, um zu wachsen.»
Das ewige Kind?
Es ist bezeichnend, dass Mahlers verspielte Vierte Metzmachers liebste Sinfonie des Wiener Komponisten ist. Einst sagte er von ihr, sie erzähle davon, wie schwer es sei, erwachsen zu werden. Nun fügt er hinzu: «Ich glaube, dass ich früher damit rang, erwachsen zu werden.» Ist Metzmacher ein ewiges Kind? Vielleicht. Allerdings eines, das im gut subventionierten Musikmarkt brav mitschwimmt und nur für Spitzengagen auftritt.
CD's (Auswahl)
Hans Pfitzner
Von deutscher Seele (Phoenix 2008).
Olivier Messiaen
Eclairs sur l’Au-Delà
(Kairos 2008).
Bücher
«Keine Angst vor neuen Tönen»
192 Seiten (Rowohlt 2005).
«Vorhang auf! – Oper entdecken und erleben»
224 Seiten (Rowohlt 2009).
Aufführungen
Die Walküre
Do, 7.11., 18.00
So, 10.11., 15.00
Mi, 13.11., 18.00
Sa, 16.11., 18.00
Grand Théâtre de Genève