Nach dem Tod ihres Vaters erbt Vera Ulitz dessen Berliner Wohnung. Die Unterkunft ist mit Aufzeichnungen und Theorien des verstorbenen Mathematikers vollgestopft. Vera, die ihr eigenes Mathematikstudium abgebrochen hat und sich als Verkäuferin in einer Bäckerei durchschlägt, hat gerade eine gescheiterte Beziehung hinter sich; sie beschliesst, von Frankfurt am Main nach Berlin zu ziehen. Die Zahlenversessene führt ein ziel- und glückloses Leben, sucht nach Halt, Sicherheit und Liebe. In Berlin trifft sie auf ihre Freundin Petra und alte Bekannte aus der Antifa-Szene. In deren Kreisen lernt sie nach einer Demo auch den attraktiven und charmanten Journalisten Frigyes kennen. Dieser möchte eine Reportage über Vera als «Erbin eines ostdeutschen Kommunisten» schreiben.
Welt der Mathematik
Hals über Kopf verliebt sich Vera in den zuvorkommenden Journalisten. Sie scheint das Glück gefunden zu haben. Doch kurz darauf geschieht bei der Anreise zu einem Antifa-Konzert ein Mord, und Frigyes’ wahre Interessen kommen zum Vorschein.
Der Journalist, Autor und Vielschreiber Dietmar Dath verwebt in diesem Roman geschickt die Gegenwart mit der DDR-Vergangenheit und lässt politische Einstellungen aufeinanderprallen. Dath ist als Filmkritiker für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» tätig und war einmal Chefredaktor des Popkultur-Magazins «Spex». Nun führt er den Leser in die Welt der Mathematik ein, die sich als Konstante durch das Leben der Protagonistin Vera zieht. Dies kann komplizierte Züge annehmen, zum Beispiel wenn Vera ihrem Journalisten einen Würfel mathematisch zu erklären versucht.
Der Autor zeichnet seine Figuren erfrischend, sympathisch und realitätsnah, was gerne in Situationskomik mündet. So etwa, wenn Vera sich ausmalt, wie sie auf einen Taxifahrer wirken könnte: «(…) überleg dir genau, ob du einsteigen willst oder nicht und wohin ich dich fahren soll. Für flirtgehemmte Autistinnen mit mathematischer Meise habe ich nämlich keine Zeit.»
Der Freiburger gilt als provokanter linker Intellektueller. Dies lässt er den Leser spüren, indem er seine politischen Ideen in den Roman einfliessen lässt. In Rückblicken und Verweisen auf die Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker oder Walter Ulbricht blitzt seine Sehnsucht nach der zusammengebrochenen DDR hervor.
Mit Tiefgang
Ebenso lässt sich Dath in der Figur von Veras Vater erkennen, der nach dem Ende der DDR selber am Ende war und sich in die Mathematik flüchtete: «Ach so, richtig, dreimal aufschliessen. Otto Ulitz war misstrauisch, er hat sich eingeschlossen, weil er sich nach 1990 von so vielem ausgeschlossen fühlte.» Daneben sind aber auch die Tätigkeit des Autors als Kulturjournalist und der Bezug zur Gegenwart spürbar: So zitiert Dath den Überhit «Happy» von Pharrell Williams ebenso, wie er die aktuellen Serien «Sherlock» und «Homeland» erwähnt. Am Ende wird die (Anti-)Heldin Vera zur Journalistin, welche die Theorien ihres verstorbenen Vaters aufzuschlüsseln versucht.
Dath hat einen kurzweiligen Roman geschrieben, der Mathematik, Liebe, Politik und Zeitgeschichte zu einem Gesamtwerk verschmelzen lässt, das gleichermassen mit Tiefgang und Witz überzeugt.
Buch
Dietmar Dath
«Deutsche Demokratische Rechnung – Eine Liebeserzählung»
240 Seiten
(Eulenspiegel 2015).