Sehnsucht nach daheim
Mit «When I Saw You» ist Regisseurin Annemarie Jacir ein angenehm unideologischer Film gelungen. Es geht historisch um die Palästina-Frage, im Kern um Sehnsucht und Freiheitsliebe.
Inhalt
Kulturtipp 14/2013
Letzte Aktualisierung:
11.07.2013
Urs Hangartner
Jordanien 1967. Tarek und seine Mutter Ghaydaa leben als palästinensische Flüchtlinge in einem Lager in der Wüste. Eines Tages bauen Männer etwas, Tarek schaut zu, und einer der Bauleute fordert den Jungen auf, mit anzupacken. «Was baut ihr hier?» Die bitter-ironische Antwort des Erwachsenen: «Einen internationalen Gerichtshof.»
Tarek (Mahmoud Asfa) geht im Lager zur Schule. Aber nicht mehr lange. Er störe die andern, so der Lehrer,...
Jordanien 1967. Tarek und seine Mutter Ghaydaa leben als palästinensische Flüchtlinge in einem Lager in der Wüste. Eines Tages bauen Männer etwas, Tarek schaut zu, und einer der Bauleute fordert den Jungen auf, mit anzupacken. «Was baut ihr hier?» Die bitter-ironische Antwort des Erwachsenen: «Einen internationalen Gerichtshof.»
Tarek (Mahmoud Asfa) geht im Lager zur Schule. Aber nicht mehr lange. Er störe die andern, so der Lehrer, der Tarek vom Unterricht ausschliesst. Eine schöne Szene: Tarek ist bereits von der Lagerschule geflogen, als er von aussen durchs Fenster den Lehrer bei einer falschen Potenzrechnung an der Wandtafel korrigiert und somit blamiert. Der 11-jährige Junge kann zwar nicht lesen, ist aber mit einem aussergewöhnlichen Zahlen- und Rechentalent gesegnet.
Wiederholt fragt Tarek seine Mutter (Ruba Blal): «Wieso gehen wir nicht nach Hause?» Aber: Wo wäre denn dieses Zuhause? Es existiert nicht mehr, was der Junge nicht begreifen kann. Auch der Vater fehlt. Tarek erhält von der Mutter zur Antwort: «Unser Zuhause ist dort, wo die Sonne immer hingeht.» Tarek versteht es wörtlich und verschwindet eines Morgens.
Unbeirrt geht der Kleine seinen Weg, der ihn schliesslich in ein anderes Lager führt. Es ist ein im Wald verstecktes
Ausbildungscamp der Fedajin. Menschlichkeit und ideologische Parolen begegnen dem Jungen in der Gruppe der palästinensischen Widerstandskämpfer. Am nächtlichen Lagerfeuer singen sie ein ganz trauriges Lied, in dem es heisst: «Bleibe, Nacht, denn wenn der Tag kommt, sieht man die Wunden – doch die Nacht bleibt nicht immer.» Inzwischen hat Ghaydaa ihr Kind aufgespürt. Tareks Mutter wird im Lager aufgenommen. Auch aus diesem Lager flieht Tarek. Er will weiter, heim.
Die Mutter geht mit ihm in eine ungewisse Zukunft. In der letzten Einstellung, Mutter und Sohn Hand in Hand vor einem Grenzzaun, bleibt das Bild stehen.
When I Saw You
(Lamma shoftak)
Regie: Annemarie Jacir
Ab Do, 4.7., im Kino