Sebastian Stadler, 31, Fotograf und Videokünstler: Voyeur des Gewöhnlichen
Sebastian Stadler lenkt unseren Blick auf das, was wir im Alltag gerne übersehen. Seine fotografischen und filmischen Arbeiten sind in einer Schau im Kunstmuseum St. Gallen zu sehen.
Inhalt
Kulturtipp 25/2019
Letzte Aktualisierung:
25.11.2019
Simon Knopf
So entstehen Schicksalsgemeinschaften: In Sebastian Stadlers Videoarbeit «Lumi/ei lunta» blickt ein Hund gebannt in die Kamera, während der Betrachter ebenso gebannt auf die Leinwand schaut. Enttäuscht werden beide, im Film passiert nichts. Doch in der Hoffnung fühlte man sich einen Moment lang mit diesem schwarzen Labrador verbunden. Sebastian Stadler hat das Spiel mit der Erwartung perfektioniert. Kürzlich wurde der 31-jährige Fotograf und Videok&uu...
So entstehen Schicksalsgemeinschaften: In Sebastian Stadlers Videoarbeit «Lumi/ei lunta» blickt ein Hund gebannt in die Kamera, während der Betrachter ebenso gebannt auf die Leinwand schaut. Enttäuscht werden beide, im Film passiert nichts. Doch in der Hoffnung fühlte man sich einen Moment lang mit diesem schwarzen Labrador verbunden. Sebastian Stadler hat das Spiel mit der Erwartung perfektioniert. Kürzlich wurde der 31-jährige Fotograf und Videokünstler aus Wil mit dem Manor Kunstpreis St. Gallen 2019 ausgezeichnet. Gut gelaunt und entspannt führt er an einem Novembermorgen durch die Ausstellung, mit der ihn das Kunstmuseum St. Gallen ehrt.
Die Langsamkeit des Alltags visualisieren
Stadler studierte Fotografie an der Zürcher Hochschule der Künste. In seinem Schaffen lenkt er unseren Blick auf Randgebiete der Zivilisation, auf das Unauffällige. In der Fotoserie «Stones from above» lichtete er während einer Veloreise durch das Pamir-Gebirge Findlinge ab und thematisiert so unsere Wahrnehmung der Umgebung. «Lumi/ei lunta», Stadlers erste Videoarbeit von 2011, porträtiert das vom gemächlichen Tempo der Natur geprägte Leben seiner finnischen Verwandten. Dokumentarisches wechselt sich mit langsamen Kamerafahrten durch den Birkenwald ab. Die so erzeugte Spannung wird jedoch nie aufgelöst. «Mir ging es um die Langsamkeit ihres Alltags», sagt Stadler und fügt mit einem Schmunzeln an: «Der Hund, der erwartungsvoll in die Kamera schaut, war für mich ein Sinnbild dafür.»
Den Fotografen interessieren aber auch die Orte, an denen wir oft einfach vorbeigehen: «Sie sagen viel über unsere Kultur aus und die Art, wie wir leben.» Die Arbeit «Travellings» entstand auf Rolltreppen und zeigt Bahnhofsdecken. Für «Vox Travaux» wiederum filmte er in Paris Kunden eines Fotogeschäfts, die sich auf dem Leuchtkasten ihre Abzüge anschauen. Die Aufnahmen entstanden mit einem Teleobjektiv; die Bilder sind körnig, manchmal überbelichtet. «Die Fotografen sind auf eine gewisse Art Voyeure», sagt Stadler. «Und ich selber werde beim Filmen auch zum Voyeur.»
Vermehrt legt Stadler die Kamera auch weg, um sich mit dem Stellenwert von Fotos in der Zeit von Smartphone und Internet zu beschäftigen. «Bilder selber zu erschaffen, hat etwas Magisches. Aber ich finde es auch spannend, mit der Fülle der heutigen Bilderwelt umzugehen.» So arbeitete er für «We see the whole picture» mit Standbildern von Webcams der finnischen Transportbehörde. Die Fotos, die den Strassenzustand zeigen sollen, arrangierte er so, dass sie Erzählungen suggerieren. Das Motorboot auf dem Anhänger wird zur Geistererscheinung. Ebenso die Abgaswolke am unteren Rand eines anderen Bildes. Da geschieht doch etwas, oder?
Ausstellung
Sebastian Stadler – Pictures, I think
Bis So, 16.2.
Kunstmuseum St. Gallen