Die Krim-Krise erreicht die Schweizer Konzertkultur. Das Mariinsky Orchestra tourt demnächst von St. Gallen bis Genf – mitsamt seinem Dirigenten Valery Gergiev. Der Musikfürst aus St. Petersburg wurde zwar von Mailand bis New York schon überall bejubelt. In Deutschland aber hat er kulturpolitische Diskussionen ausgelöst. Gergiev hat nämlich – zusammen mit 511 anderen russischen Künstlern – einen Pro-Putin-Aufruf unterzeichnet, der das Vorgehen in der Ukraine und auf der Krim billigt: «Wir wollen, dass die Gemeinschaft unserer Völker und unserer Kulturen eine starke Zukunft hat. Deshalb erklären wir felsenfest, dass wir die Position des Präsidenten der Russischen Föderation zur Ukraine und zur Krim unterstützen.»
Wer diese Worte als blosse freie Meinungsäusserung deutet, missachtet das Völkerrecht. Und so fragt denn die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», ob sich München einen Gergiev ab 2015 als Chefdirigent der Philharmoniker noch leisten kann – und antwortet mit: «eher nein». Die Frage drängt sich deshalb auf, ob es sich der Veranstalter Migros-Kulturprozent Classics erlauben kann, Valery Gergiev auf eine Tournee durch die Schweiz zu schicken. Und nicht nur Gergiev wird im Mai auf dem Podium stehen, sondern mit dem Pianisten Denis Matsuev ein weiterer «Volkskünstler Russlands» und Unterzeichner des Putin-Manifests.
Die Antwort von Hedy Graber, Leiterin der Direktion Kultur und Soziales beim Migros-Genossenschafts-Bund, ist deutlich: «Die Migros-Kulturprozent-Classics konnten Maestro Valery Gergiev sowie Denis Matsuev und das Mariinsky Orchestra bereits vor Jahren für die Tournee engagieren. Wir bleiben auch in diesem Fall unserem Engagement treu, unserem Publikum die bestmöglichen Musiker aus aller Welt in ihrem Kern-Repertoire zu präsentieren. Wir sind überzeugt, dass die Konzerte mit dem Mariinsky Orchestra für das Schweizer Publikum ein grossartiges Erlebnis sein werden.»
Keine Zweifel
Die Migros lässt Gergiev als ihr Aushängeschild gelten. Der Münchner Stadtrat will gerade deswegen dessen Engagement nochmals überdenken. Gergiev müsse sich «erklären», fordern die Grünen. Wenn er sein Vorgehen unverändert für richtig halte, sei er als Chefdirigent der Philharmoniker untragbar.
Wie Hedy Graber kennt auch Martin Engstroem, Intendant des Verbier Festivals, keinen Zweifel an Auftritten der Putin-Anhänger. Engstroems Antwortmail kommt aus St. Petersburg, er sitzt dort in der Jury des Tschaikowsky-Wettbewerbs. Er sagt, dass er nie im Leben glaubte, jemals die Auftritte von Gergiev, Matsuev oder Yuri Bashmet verteidigen zu müssen. Im Gegenteil: Er schätzt sich glücklich, diese Musiker jährlich in Verbier zu haben, wo sie mit ihrer Arbeit inspirierend auf die nächste Musikergeneration einwirken. «Die genannten Künstler müssen ihre Gründe gehabt haben, warum sie eine offensichtlich sehr umstrittene Sache unterstützen», schreibt Engstroem. «Es ist ihr Recht, Stellung zu beziehen. Solange sie nicht für irgendwelche kriminellen Taten verurteilt worden sind, weiss ich nicht, warum sie nicht in Verbier auftreten sollen.»
Musik und Politik
Ähnlich, wenn auch mit einem Pianissimo-Zwischenton, klingt es aus Luzern, wo Gergiev am Lucerne Festival im Sommer auftritt. Intendant Michael Haefliger sagt: «Wir bieten dem Publikum im Sommer mit dem Konzert von Valery Gergiev und dem Mariinsky Orchestra ein herausragendes musikalisches Highlight auf höchstem künstlerischem Niveau. Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass Kunst und Politik voneinander getrennt sein sollten – gleichzeitig verfolgen wir die Situation in Russland mit grosser Aufmerksamkeit.»
Doch ist Musik so unpolitisch? Hat nicht die deutsche wie auch die sowjetische Geschichte im 20. Jahrhundert deutlich das Gegenteil gezeigt? Wie politisch kraftvoll selbst leise Töne sind, zeigte der in Lettland geborene Geiger Gidon Kremer vor zwei Wochen in der Tonhalle. Vor der Zugabe wandte er sich ans Publikum, sagte, man müsse Haltung zeigen, und spielte ein kleines Stücklein des Ukrainers Valentin Silvestrov.
Kremer spielt Ende Mai bei «Zaubersee» in Luzern – einem Festival, das noch im Februar im Programm die Ostchem Holding als Sponsor führte, sie nun aber aus der Sponsorenliste gestrichen hat. Kein Wunder: Ostchem-Chef Dmytro Firtasch, ein ukrainischer Oligarch, ist mittlerweile verhaftet worden.
Ob bei «Zaubersee» oder anderswo: Das russische Geld bleibt in der Kulturwelt genauso wichtig wie der Rohstoffhandel für die Wirtschaft. Die Credit Suisse sponsert das Bolschoi-Theater Moskau. Dessen Generaldirektor Wladimir Urin ist Mitunterzeichner der Pro-Putin-Liste.
Diskussion nicht neu
Nebenbei: Es geht auch ohne. Operndiva Anna Netrebko und Geiger Vadim Repin traten zwar bei Putins Olympia-Eröffnungsshow auf, unterzeichneten den Brief aber nicht. Brisant: Im Falle Gergievs geht es nicht «nur» um die aktuelle Krise. München diskutierte schon im Dezember über den Dirigenten: Damals entschuldigte Gergiev die staatliche Hatz auf Homosexuelle in Russland damit, es würde nur um den Schutz der Kinder gehen. Jetzt kommt die Billigung des Völkerrechtsbruchs von Russland hinzu. Wird das alles dem Schweizer Publikum egal sein?
Konzerte
Mariinsky Orchestra und Valery Gergiev
So, 18.5., 19.30 Tonhalle St. Gallen
Mo, 19.5., 19.30 KKL Luzern
Di, 20.5., 19.30 Tonhalle Zürich
Mi, 21.5., 20.00 Victoria Hall Genf