Eine Veranstaltung wie damals bei der Miss-Schweiz-Wahl? Ein Wanderzirkus, bei dem die Autorinnen und Autoren wie Zirkuspferde antraben müssen? Der Oltner Bestsellerautor Alex Capus findet provokative Vergleiche für die Verleihung des Schweizer Buchpreises. Kürzlich hat er in der Bücherbeilage der «NZZ am Sonntag» eine pointierte Kolumne zum Thema geschrieben und gefragt: «Liegt der Zauber eines Buches nicht gerade darin, dass Schönheit, Tiefe und Wahrhaftigkeit sich jeder Messbarkeit entziehen?»
Im Gespräch führt er aus, warum er selbst es abgelehnt hat, dass der Hanser- Verlag seinen neusten Roman «Susanna» für den Schweizer Buchpreis einreicht: «Dieser Wettbewerbscharakter wie beim Sport ist dem Wesen der Kunst fremd. Die Literatur begibt sich so in eine Hollywoodisierung oder Kommerzialisierung.» Was ihn besonders stört: «Die Werke lassen sich gar nicht gegeneinander aufwiegen, das sieht man in diesem Jahr besonders gut. So wird das Debüt von Kim de l’Horizon einem Werk eines altgedienten Autors wie Thomas Hürlimann gegenübergestellt. Warum nur macht man das?»
«Man will die Bücher ans Publikum bringen»
Dieser Einwand ist nicht neu. So wurde bereits 2012 die Frage aufgeworfen, ob sich so verschiedene Genres wie der Essayband von Peter von Matt mit belletristischen Werken vergleichen lassen. «Auf jeden Fall!», findet Annette König, SRF-Literaturredaktorin und Jurymitglied beim Schweizer Buchpreis: «Es sind Bücher, die der Jury am Herzen liegen. Egal, welches Genre oder ob es ein Debüt oder das Werk eines Altmeisters ist.»
Die fünfköpfige Jury versuche, in langen Diskussionen den Büchern gerecht zu werden und die Parameter der Literaturkritik anzuwenden: «Hat das Buch eine poetische Kraft? Behandelt es ein Thema, das die Gesellschaft umtreibt? Ist es ein Buch, dass, wie Kafka sagte, das gefrorene Meer in uns aufbricht, etwas in einem auslöst?» Auf den Zirkuspferd-Vergleich angesprochen, lacht König: «Ich empfinde den Literaturbetrieb nicht als Zirkus. Für viele Autoren ist es eine Bereicherung und keine Last, zusammen auf Lesereise zu gehen und dem Publikum zu begegnen. » Sie sagt aber auch: «Natürlich ist der Buchpreis aus der Branche heraus entstanden. Man will die Bücher ans Publikum bringen, Autoren, Verlage und den Buchhandel fördern.»
Ähnlich sieht es Tanja Messerli, Geschäftsleiterin des Schweizer Buchhandels- und Verlags-Verbands (SBVV): «Der Schweizer Buchpreis kurbelt die Diskussion über die Literatur in unserem Land an. Gerade in Zeiten, in denen der Kulturjournalismus ausgedünnt wird, ist der Preis elementar für die Sichtbarkeit und für die Existenzgrundlage der Autorinnen und Autoren sowie der Verlage.» Als Beispiel nennt sie Anna Stern, die 2020 den Buchpreis gewonnen hat: «Das Buch war damals mit seiner Thematik Avantgarde, aber es hatte kaum Resonanz.
Durch den Buchpreis hat sich Stern einen Namen gemacht.» Kurbelt der Buchpreis denn tatsächlich längerfristig den Verkauf an? Dazu hat der A*dS, der Verband der Autorinnen und Autoren der Schweiz, 2017 eine Umfrage bei den bisherigen Nominierten gemacht. So sagt Nicole Pfister Fetz, Geschäftsführerin des A*dS: «Es hat uns überrascht, dass für viele Autorinnen und Autoren die Nominierung nur punktuell nachhaltige Wirkung über die Zeit der Preisverleihung hinaus entfaltet hat.
Die Aufmerksamkeit war zwar unmittelbar gross, und es folgten höhere Verkaufszahlen. Doch nur bei einer kleineren Gruppe entwickelte die Nominierung einen Schub, der zu Übersetzungen oder einer besseren Bekanntheit in der Medienszene führte.» Bei den Siegerbüchern konnte man allerdings eine nachhaltige Wirkung auf die Verkaufszahlen feststellen.
Und auch zur Zirkuspferd-Frage hat die Umfrage eine überraschende Antwort: «Grundsätzlich werden die Erfahrungen positiv gewertet, auch wenn das Wettbewerbsverhältnis nicht nur unproblema- tisch erlebt wird. Vor allem an der Preisverleihung wird eine Konkurrenzsituation geschaffen, welche die meisten Autoren als unangenehm empfinden.»
Es winkt ein Preisgeld von 30 000 Franken
Unbestritten ist hingegen, dass die Preise ein wichtiger Teil der Literaturförderung sind. «Wie viele andere Kulturschaffende leben auch viele Autoren in prekären Verhältnissen, wie die Einkommensstudien von Suisseculture Sociale gezeigt haben», sagt Pfister Fetz. Für die literarische Öffentlichkeit und den Deutschschweizer Literaturbetrieb sei der Buchpreis daher wichtig.
So erhält der Gewinner ein Preisgeld von 30 000 Franken, die Nominierten erhalten je 3000 Franken. Und natürlich schadet es der Literatur nicht, wenn sie im Gespräch ist oder gar einen kleinen Skandal provoziert, wie etwa 2021, als Christian Kracht kurzfristig seinen bereits nominierten Roman zurückzog. Und was entscheidend ist: Beim Buchpreis steht der Marketingaspekt nicht im Vordergrund.
Das zeigen die letzen Jahre, als etwa mit Anna Stern, Martina Clavadetscher oder Ilma Rakusa Literatur jenseits des Mainstreams ausgezeichnet wurde. Auch Annette König sagt: «Der Preis wäre nicht glaubwürdig, wenn er einfach auf Verkaufszahlen aus wäre.» Ob tatsächlich das «beste Buch des Jahres» ausgezeichnet wird, sei dahingestellt. Abhängig ist das zum einen davon, welche Bücher die Verlage in Absprache mit ihren Autoren überhaupt einreichen. In diesem Jahr konnte die Jury eine Shortlist aus 88 Titeln aus 58 Verlagen zusammenstellen.
Und zum anderen ist es trotz allen Literaturkritik- Parametern auch immer das subjektive Leseempfinden, das ein Buch zum Highlight des Jahres macht. Schlussendlich entscheiden immer noch die Leser selbst, welche Bücher erfolgreich werden – ob preisgekrönt oder nicht.
Preisverleihung
Schweizer Buchpreis
So, 20.11., 11.00, Foyer Theater Basel
Lesungen der Nominierten
So, 13.11., 11.00 Literaturhaus, Zentralschweiz Stans NW
Do, 17.11., 19.30 Progr Bern
Einzellesungen am Festival Buch Basel
Fr, 18.11.–So, 20.11.
www.buchbasel.ch
Gewinner-Lesung
Di, 22.11., 20.00
Orell Füssli Bern
www.schweizerbuchpreis.ch
Radio
BuchZeichen: Vorstellung der nominierten Bücher
Di, 15.11., 20.00 Radio SRF 1
Sondersendung zum Schweizer Buchpreis
So, 20.11., 11.00–12.30
Radio SRF 2 Kultur