Gerade hat die coole Ehebrecherin ihrem Gatten den Mord an seinem vermeintlichen Nebenbuhler gemeldet. «Hat alles geklappt, Schatz», haucht sie ins Telefon und versichert, dass der Ahnungslose sie vor seinem abrupten Ableben noch testamentarisch zur Alleinerbin gemacht habe. «So wie ich dich», flötet sie noch. Doch kaum gesagt, bleibt ihr dieser Satz im Halse stecken. Sie krächzt, hüstelt, hustet und tut – hörbar erschreckt – ihren letzten Seufzer.
Montagabend, kurz nach 23 Uhr. Im ganzen Land haben sich Millionen von Nackenhaaren aufgestellt. Nun werden in den helvetischen Schlafzimmern die Nachttischlampen ausgeknipst. Radio SRF hat seiner treuen Hörerschaft einmal mehr mit wohligem Schauer die neue Radiowoche eingeläutet. Erstmals geschah dies am 5. November 1975 und seither mit einigen Unterbrechungen jeden Montag: Das «Schreckmümpfeli» wird 40 und erfreut sich ungebrochener Beliebtheit. Aktuelle Hörerzahlen gibt es nicht, dafür ist die Sendung zu kurz. Die Redaktion geht aber von weit über 100 000 Zuhörenden pro Ausgabe aus.
Kultiges Kurzhörspiel
Was für das Publikum des kultigen Kurzhörspiels gilt, spüren auch seine Machenden. «Die Lust ist ungebrochen», sagt Buschi Luginbühl. Der bekannte Regisseur hat seit 1978 unzählige «Schreckmümpfelis» inszeniert. Insgesamt sind gegen 1000 davon über den Sender gegangen, alle nach dem gleichen, simplen Prinzip. «Eine würzige Mischung aus Sex and Crime mit Witz und Ironie», umschreibt Redaktionsleiterin Päivi Stalder.
Mit Mordslust am Werk
Ein gutes Beispiel ist das Stück «Der Mond ist aufgegangen» mit der eingangs erwähnten Schlussszene. In knapp acht Minuten erzählt der Zürcher Krimiautor Ulrich Knellwolf einen mit kriminalistischen Stereotypen gespickten Thriller: Frau angelt sich reichen Mann und nimmt ihn aus, ohne zu merken, dass sie selbst zum Opfer wird. Ex-Pfarrer Knellwolf setzt auf Bewährtes, geht aber mit spürbarer Mordslust ans Werk.
Just darin sieht Anina Barandun, Leiterin Hörspiel und Satire bei Radio SRF, das eigentliche Erfolgsrezept des «Schreckmümpfeli». «Autoren, Regisseurinnen und Schauspieler dürfen gemein sein, ohne zu psychologisieren, lustvoll auf den sicheren Effekt schielen und auch mal ungeniert dick auftragen.» Dieses Rezept inspiriere alte Krimi-Hasen wie Jungautoren, weiss Päivi Stalder, die keinen Mangel an neuen Manuskripten hat. Auf ihrem Pult landen «Schreckmümpfeli»-Texte von Ernst Solèr, Ralf Schlatter, Katja Alves und vielen anderen. Pro Jahr kommt es zu rund 15 Neuproduktionen. Dazwischen kann sie sich aus einem umfassenden Archiv bedienen, wo Produktionen von Charles Lewinsky, Franz Hohler oder Urs Widmer lagern.
Erfunden hat das «Schreckmümpfeli» Edith Bussmann, damals Dienstchefin Unterhaltung im Radiostudio Bern. Die «Mümpfelis» begeisterten das Publikum und wurden von ausländischen Stationen übernommen. Bald meldeten sich Autoren aus Deutschland, erinnert sich Buschi Luginbühl. Zu den bis heute fleissigsten zählt Bruno Klimek, Regisseur, Professor für Szenische Ausbildung an der Folkwang Universität Essen und Hörspielautor. Das «Schreckmümpfeli» erachtet er als besondere Herausforderung. «Es gilt, eine spannende, kurze, komplexe Geschichte, die skurril, grusig, lustig sein soll, in knapp zehn Minuten mit geringstmöglicher Besetzung zu erzählen.» Um sich zu inspirieren, versetzt sich Klimek zurück in seine Kindheit, als er unter der Bettdecke verbotenerweise Hörspiele lauschte.
Aufwendige Arbeit
Bei aller Schaffensfreude der Beteiligten: «Schreckmümpfelis» sind aufwendig. Buschi Luginbühl: «Meistens produzieren wir gleichzeitig zwei Mümpfelis, wofür wir zwei bis drei Tage brauchen.» Das sei mehr als in den Anfangszeiten, betont er und freut sich, dass heute alle SRF-Hörspielregisseure mit Freude auch «Schreckmümpfelis» inszenieren. Konzeptuelle Änderungen hat es seit 1975 nicht gegeben. «Warum auch?», fragt Hörspiel-Chefin Barandun. «Die Grundidee ist noch lange nicht ausgeschöpft.» Entsprechen die Kurzthriller dem heutigen Zeitgeist gar besser als ausgewachsene Hörspiele? «Sicher gibt es heute mehr mobile Möglichkeiten, sich zwischendurch einen Kurzkrimi anzuhören», sagt Barandun. «Aber Märchen oder Fabeln als Vorläufer der Mümpfelis waren schon immer beliebt.»
Und werden es wohl immer sein. Oder droht dem «Schreckmümpfeli» der Rotstift im gebeutelten Hause SRF? Buschi Luginbühl: «Im Jubiläumsjahr konnten wir mehr neue Sendungen produzieren als bisher.» Päivi Stalder gibt sich zuversichtlich: «Im Moment sind keine Trübungen in Sicht. Die Kirstallkugel sagt ‹ja›.» Und Chefin Anina Barandun doppelt in «Mümpfeli»-Manier nach: «Die Zukunft ist sicher, ich würde sogar fast sagen ‹todsicher›.»
Jubiläum auf allen Kanälen
SRF feiert das «Schreckmümpfeli» im Radio, am Fernsehen und Online. Radio SRF 1 bringt von Mo, 2.11.–Fr, 6.11., 23.00 fünf brandneue «Schreckmümpfeli»-Folgen. Im Tagesprogramm gibt es Jubiläums-Beiträge in den Sendungen «Morgengeschichte», «Treffpunkt» oder «Knack & Nuss» zu hören. «Spasspartout» wiederholt am Mo, 2.11., 14.06 das Hörspiel «Gänse auf der Haut» (SRF 2005). Gleichentags geht SRF 1 ab 22.00 auf Geisterjagd im ganzen Land. Der «Doppelpunkt» vom Di, 3.11., 20.03 thematisiert «Die Lust am Gruseln». Am Fr, 6.11., wird ab 20.03 die Jubiläums-Gala live aus dem Theater Ticino in Wädenswil ZH übertragen.
Fernsehen SRF 1 beteiligt sich mit einer Spezialausgabe von «CH:Filmszene» am Mi, 4.11., 00.50. Unter dem Titel «Schreckmümpfeli reloaded» sind sechs kurze Hommagen von jungen Filmschaffenden und Studierenden aus Zürich und Basel zu sehen.
Genau Angaben zu allen Beiträgen sowie das «Schreckmümpfeli»-Archiv sind unter www.srf.ch/schreckmuempfeli zu finden.
CD
Das Beste vom Schreckmümpfeli
1 CD, 76 Minuten
(Christoph Merian Verlag 2013).
Schreckmümpfeli live
Fr, 6.11., 19.45 Theater Ticino Wädenswil ZH
(Weitere Vorstellungen in Wädenswil: Sa, 7.11. & Mi, 11.11.–Sa, 14.11., jeweils 20.30)
www.theater-ticino.ch
Fr, 20.11., 20.00 Casino Theater Burgdorf BE
www.theaterburgdorf.ch