Zeter und Mordio schreien die Schrebergarten-Besitzer an der Generalversammlung. Da kann der «Presidente» Giovanni (Sergio-Maurice Vaglio) noch lange «Silenzio!» brüllen – die Hobby-Gärtner sind ausser Rand und Band. Dabei hatte mit der feierlichen Einweihung des Gemeinschaftsgrills alles so friedlich begonnen. Aber nun beschweren sich die Serben über den fehlenden Drehspiess für das Spanferkel. Die Türken wiederum wollen ihr Lamm nicht neben dem Schwein braten. «Und wo, bitteschön, hat hier unsere Cervelat Platz?», fragen die Schweizer. Die Plänkeleien weiten sich aus zur handfesten Diskussion über Tradition und Religion – die viel beschworene Toleranz der multikulturellen Schrebergarten-Gemeinschaft ist im Eimer. Das ist eine Schlüsselszene aus dem Freilichtspiel «Paradies» von Regisseurin Livia Anne Richard.
Sie hat sich für ihr neues Dialekt-Stück von Mano Khalils Dokumentarfilm «Unser Garten Eden» über eine Berner Schrebergartensiedlung inspirieren lassen. Die darin vorkommenden Nachbarschaftszwiste sowie kleinen Freuden und Dramen bieten Theaterstoff vom Feinsten, fand Richard. «Theater ist verdichtetes Leben, und ein Schrebergarten ist die verdichtete Welt», sagt sie in einer Probenpause. Den Schrebergarten-Kosmos sieht sie als eine Art Suisse Miniature, wo die grossen Weltkonflikte im Kleinen weitergehen.
Aus dem Dokumentarfilm hat sie ein Theaterstück mit verschiedenen Handlungssträngen geschaffen. Als roter Faden dient eine Liebesgeschichte zwischen dem sudanesischen Sans-Papier Jamal (Tarig Abdalla) und Eveline (Corinne Thalmann), der Tochter der Gemeinderätin. Eveline bietet Jamal das Gartenhäuschen zur Übernachtung an – ein massiver Verstoss gegen das strenge Schrebergarten-Reglement, das jeden regelwidrigen Zentimeter ahndet. Doch der ansonsten so pingelige «Presidente» lässt das Paar gewähren. Der fremde Gast bleibt indes andern Gärtnern nicht verborgen. Und als die Schildkröte Gerda verschwindet, wird schnell der schwarze Mann des Frevels verdächtigt. Schliesslich würden die dort ja auch so komische Dinge wie gegrillte Heuschrecken essen, ist eine Gärtnerin überzeugt.
Kulturelle Klischees
Richards Stück ist eine instabile Wanderung auf dem Grat der politischen Korrektheit. Mit Witz wirft die Regisseurin die kulturellen Klischees über den Haufen. Und sie zeigt, dass dort, wo Toleranz zelebriert wird, manchmal wenig dahintersteckt. Als etwa Eveline die geplante Hochzeit mit Jamal verkündet, ist die vermeintlich tolerante Mutter alles andere als begeistert und holt altbackene Klischees hinter dem Ofen hervor.
Beim Probenbesuch auf dem Gurten steht die eigens für das Stück angelegte kleine Schrebergarten-Siedlung auf der mehrstufigen Bühne bereits in voller Blüte (Bühnenbild: Fredi Stettler). Zig individuell eingerichtete Gartenhäuschen reihen sich aneinander. Je nach Gusto sind herausgeputzte oder kunterbunt wachsende Beete, ein «Home sweet Home»-Schild oder eine YB-Flagge zu sehen – und natürlich die Nationalfahnen in allen Farben. Schliesslich steht der Schrebergarten für Multikulturalität, und auch das 30-köpfige Ensemble wartet mit Profi- und Laienschauspielern aus 9 Nationen auf. Der Sudanese Tarig Abdalla ist einer von ihnen. Der Agronom lebt seit 1997 in der Schweiz und ist seit 2000 als politischer Flüchtling anerkannt. Die Figur Jamal sei seine erste grössere Theaterrolle, erzählt er und ergänzt: «Es ist gar nicht immer so einfach, meine Rolle vom echten Leben zu trennen.»
Aus dem Leben
Aus dem echten Leben gegriffen sind auch die Konflikte, die Richard auf die Bühne bringt: Nebst der Asylpolitik schneidet sie Themen wie Homosexualität, Demenz oder Burnout an – etwas viel Stoff für ein einziges Stück. Aber schliesslich soll anhand des Schrebergarten-Mikrokosmos die Welt in ihrer ganzen Vielfalt und Tragikomik abgebildet werden, wie Richard sagt. Zur musikalischen Un-termalung der kunterbunten Mischung konnte sie Christian Brantschen von Patent-Ochsner gewinnen. Er wird dem mulitkulturellen Anspruch mit eigens für das Stück komponierten Liedern gerecht – vom Walzer über kurdische Weisen bis zu französischen Chansons.
Paradies
Premiere: Fr, 27.6., 20.30
Theatergelände Gurten Bern
www.theatergurten.ch