kulturtipp: Es scheint, als würden Sie sich bestens in der Technoszene der 1990er-Jahre auskennen.
Sven Regener: Begonnen hat alles 1996, als ich meine Frau Charlotte Goltermann kennengelernt habe, die damals ein Label für elektronische Musik führte. Über sie bin ich in diese Szene reingekommen, habe DJs näher kennengelernt und viele Raves besucht. Man merkt dem Buch an, dass da viel Liebe zu diesen Leuten drinsteckt. Techno ist Musik, es ist Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll. Die Zeit im Backstage und die Partys waren super – die Raver hatten in den 90ern sicher die besten Partys. Es war ein neues «Scheissegal-Ding», und immer wenn solche Dinge aufkommen, gibt es keine Vergangenheit, keine Geschichte und keine Referenzgrösse: Alle trashen rum und das Ganze hat etwas Leichtes und Spielerisches.
Und es sind ziemlich viele Drogen im Spiel, die Sie verharmlosen und gleichzeitig infrage stellen.
Verharmlosen würde ich nicht sagen. Man darf nicht vergessen: «Magical Mystery» ist kein Sachbuch. Es ist auch kein Erlebnisbericht, sondern ein Roman. Und dieser wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Karl Schmidt erzählt. Und der darf keine Drogen mehr nehmen. Er weiss zwar nicht, ob nur die Drogen an seinem Zusammenbruch schuld waren. Aber er weiss, dass es für ihn sehr gefährlich wäre, welche zu nehmen. Ich sehe da keine Verharmlosung. Karl Schmidt wird von den Leuten auf die Tour mitgenommen, weil sie wissen, dass er keine Spassbremse und kein Moralapostel ist. Er weiss zwar genau, was abgeht, wenn alle gemeinsam auf dem Klo verschwinden. Er verurteilt dies aber nicht, sondern kommentiert es augenzwinkernd mit «da waren wieder alle Lampen an».
Trotz einiger «unterkühlter Szenen» klingt es so, als würden Sie dieser Zeit ein Stück weit nachtrauern.
Nein, ich habe es nicht so mit der Nostalgie. Aber ich finde, man sollte die guten Seiten der Dinge sehen – das Spannende. «Magical Mystery» ist kein Buch über Techno oder über Rave. Es ist ein Buch über Karl Schmidt und was er an Abenteuern erlebt. Wie auch die «Schatzinsel» von Robert Louis Stevenson kein Piratenbuch ist. Ich hätte kein Interesse daran, einen Roman zu schreiben, der sich über die Dinge nur lustig macht. Man soll versuchen zu verstehen, was an dieser Zeit toll und besonders war und was so heute vielleicht nicht mehr sein kann.
Sie schreiben immer von ziemlich schrägen Figuren. Woher kommt Ihre Vorliebe für solche Leute?
Sie sind Teil meines Lebens. Ich bin selber auch ein komischer Typ und habe mich immer für solche Leute interessiert. Jedoch frage ich mich, ob die wirklich so schräg sind. Machen wir uns nichts vor: Wenn man sich in die Figuren weit genug reinwagt, kann man bei fast jedem feststellen, dass er irgendwie schräg ist. Auch jemand, der Accountant oder Buchhalter ist, hat eine Freak-Seite.
Also sind auch Sie ein Freak?
Es ist ja so, dass ich auf eine ziemlich exzentrische Art meinen Lebensunterhalt verdiene. Der Beruf «Künstler» hat an sich schon einen Freak-Gehalt. Aber das sagt noch nichts. Wenn ich den Freak in mir entblössen wollte, dann würde ich das ja tun. An Gelegenheiten mangelt es nicht.
Interview: Jonas Frehner
Sven Regener
«Magical Mystery – Oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt»
512 Seiten
(Gallani 2013).
Zum Buch «Magical Mystery» von Sven Regener
Geschichte eines (Anti-)Helden – freakiger Szene-Slang inklusive
Sie sind frei, träumen davon, die Liebe ins Land herauszutragen und sind allesamt dem Techno verfallen: Die Rede ist von DJs, die für Labels wie BummBumm Records und Kratzbombe spielen. Sie haben sich in den Kopf gesetzt, gleich den Beatles in den 60er-Jahren, eine Magical-Mystery-Tour durchzuführen und ihre Botschaft in der deutschen Provinz zu verbreiten.
Karl Schmidt, den man schon aus Sven Regeners Trilogie um Frank Lehmann kennt, wird als Fahrer und Tourmanager angeheuert. Denn er, der am Abend des Mauerfalls einen vermutlich drogeninduzierten Zusammenbruch erlitten hat und seither in einer «betreuten Drogen-WG» lebt, muss nüchtern bleiben. Und er ist der Einzige, der die Tour kritisch betrachtet: «War die nicht von den Beatles?» Oder: «Ist das damals nicht irgendwie in die Hose gegangen?»
Karl führt durch die Geschichte aus der Ich-Perspektive mit fast stoischer Ruhe, die vielleicht von seiner kontrastierenden Nüchternheit herrührt. Und er trumpft immer wieder rhetorisch und pseudo-philosophisch auf – was
in dieser schusseligen Fahrgemeinschaft keine grosse Kunst ist.
So ziehen die Techno-Freaks von Berlin aus los, um die Provinz unsicher zu machen. Techno und House stecken Anfang der 90er-Jahre noch in den Kinderschuhen – stossen aber auf grosse Resonanz. So hat Regener, der Sänger und Trompeter der Rockkapelle Element of Crime, seine persönlichen Erfahrungen mit der Szene gemacht. Der Autor schafft es nach der Lehmann-Trilogie erneut, seine (Anti-)Helden authentisch und lebensnah zu zeichnen. Inklusive freakigem Szene-Slang und den gewohnten Quasselstrippen-Stil. Ein Zeitdokument über die Anfänge der deutschen Rave-Szene, das aufs Neue zeigt, das Regener es meisterlich versteht, skurrile Typen sympathisch und mit einer ordentlichen Portion Komik zu schildern.