Schmerzhaftes Loslassen
Die in Basel lebende Filmerin Arami Ullón dokumentiert in ihrem preisgekrönten Erstling «El tiempo nublado» die eigene Mutter-Tochter-Geschichte.
Inhalt
Kulturtipp 10/2015
Urs Hangartner
Immer wieder fliessen die Tränen. In schmerzvollen Momenten vor Enttäuschung und Wut, oder wenn traurige Erinnerungen aufsteigen. Diese Tränen vergiesst Regisseurin Arami Ullón (37) selber, denn der Film ist ein Stück ihrer eigenen Lebens- und Familiengeschichte. Vor zehn Jahren hat sie das heimatliche Asunción in Paraguay verlassen. Heute lebt sie zusammen mit ihrem Schweizer Freund in Basel. Verlassen hat Arami nicht nur die Heimat, sondern auch ihre kranke...
Immer wieder fliessen die Tränen. In schmerzvollen Momenten vor Enttäuschung und Wut, oder wenn traurige Erinnerungen aufsteigen. Diese Tränen vergiesst Regisseurin Arami Ullón (37) selber, denn der Film ist ein Stück ihrer eigenen Lebens- und Familiengeschichte. Vor zehn Jahren hat sie das heimatliche Asunción in Paraguay verlassen. Heute lebt sie zusammen mit ihrem Schweizer Freund in Basel. Verlassen hat Arami nicht nur die Heimat, sondern auch ihre kranke Mutter Mirna. Hat sie sie im Stich gelassen? Muss sich die Tochter Vorwürfe machen, ihre Verantwortung nicht wahrgenommen zu haben? Sind ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle berechtigt?
Die Tochter kehrt in diesem Film zurück zur Mutter, weil sich deren Gesundheitszustand verschlechtert hat. Sie leidet an Epilepsie und Parkinson, und sie kann in der eigenen Wohnung nicht mehr selbständig leben. Mirna braucht Betreuung rund um die Uhr. Wie kann ihr die Familie helfen oder Arami selber? Käme eventuell ein Heim in der Schweiz infrage? Wie sieht es mit der Heimsituation in Paraguay aus?
Schonungslos
Tochter Arami findet schliesslich einen Platz für Mirna. Nun müssen die beiden erneut loslassen. Die Mutter übrigens sagt ihrer Tochter «Mama». Denn früh schon hat Arami für die Mutter sorgen müssen, musste schnell erwachsen sein. Im Dialog mit der Mutter fällt der Satz: «Manchmal möchte ich Kind sein. Ich war nie richtig Kind.»
«Wieso machen wir diesen Film?», fragt die Regisseurin am Anfang. Mutter Mirna antwortet: «Ich denke, um zu zeigen, was passiert in diesem Stadium der Krankheit: im Abseits zu leben, einsam. Und es wird dir helfen, zur Ruhe zu kommen.» Arami ihrerseits überlegt einmal: «Vielleicht will ich mir mit diesem Film selber verzeihen.»
Regisseurin Arami Ullón erforscht mit diesem Film die eigene Geschichte. Sie tut es mutig, schonungslos offen und berührend. «El tiempo nublado» gewann letztes Jahr in der Sektion «Regard Neuf» beim Dokumentarfilmfestival Visions du Réel in Nyon.
El tiempo nublado
Regie: Arami Ullón
Ab Do, 7.5., im Kino