kulturtipp: Regina Heer, warum lieben es die Menschen, Opern unter freiem Himmel zu sehen?
Regina Heer: Zu schauen oder zu hören?
Oh, jetzt sind wir schon mitten drin …
Das Sehen war tatsächlich ein zentraler Punkt, als die Anfrage kam, ob ich auf Schloss Hallwyl «Die Zauberflöte» inszenieren möchte. Bei den dramatischen, «dunklen» Momenten im 1. Akt, beim Auftritt der Schlange – die bei uns übrigens keine Schlange sein wird gemäss Mozarts Autograf – und der Königin der Nacht, ists hier noch hell, die Bühne steht im schönsten Abendlicht.
Etwas blöd, also zurück zur Ausgangsfrage.
An einem schönen Abend ists im Schlosshof Hallwyl unter der alten Linde ganz einfach traumhaft schön.
Wenn denn das Wetter gut ist …
… dann ists schöner als in einem dunklen schwarzen Raum. Aber ich will das gar nicht gegeneinander ausspielen: Es ist doch auch die Abwechslung. Mal ist man in Basel, mal in Zürich in der Oper – und dann eben auf Schloss Hallwyl.
Viele Leute besuchen Opern-Open-Airs, setzen aber nie einen Fuss in ein Opernhaus.
Die Schwellenangst ist ein wichtiger Aspekt: Oper in einem Opernhaus scheint vielen Leuten zu kompliziert. Oper im Schlosshof nicht.
Mir ist es dennoch ein Rätsel, da es viel zu viele Elemente gibt, die gegen einen musikalischen Genuss sprechen: Vom Fehlen der Akustik wegen der nicht vorhandenen drei Mauern müssen wir gar nicht sprechen. Aber da gibt es Grillen, Vögel, Autos, Flugzeuge, Wind – und Regen.
Den Leuten scheint das Freilichterlebnis wichtiger zu sein.
Und Ihnen?
(Lange Pause) Hallwyl ist für mich eine riesige Herausforderung: Es ist schwierig, im Freien in einem offenen Hof ohne technische Möglichkeiten eine Oper zu realisieren.
An die Negativ-Punkte denken Sie gar nicht?
Ich liebe diese Herausforderung, aber das Wetter bleibt ein Stressfaktor. Es spielt betreffend der Materialien für die Bühne eine Rolle. Auch auf die akustischen Verhältnisse müssen wir beim Bühnenaufbau achtgeben: Die Bühne soll Rückhalt geben, es müssen sich Resonanzräume bilden. Die Sänger wollen und sollen möglichst oft auf Holz stehen. Aber es gibt auch andere Probleme: So wie die Bühne jetzt liegt, geht der drei Meter breite Fluchtweg mitten durchs Bühnenbild. Da dürfen keine Hindernisse stehen, da sonst Gefahr besteht, dass jemand stolpert.
Ich merke: Die Vorstellung von einer unbegrenzten Open-Air-Bühne ist falsch.
Völlig falsch. Ich kann im Prinzip bloss vom flachen Kiesboden ausgehend spielen, das Schloss darf man nämlich kaum berühren, da es denkmalgeschützt ist. Klar, dürfte jemand aus einem Fenster singen, aber das haben Sie dann auch mal gesehen. Und kaum hat er dies getan, müsste er sich beeilen, um wieder rechtzeitig draussen auf der Bühne zu sein. Ich träumte mal von einer aus dem Schloss führenden Treppe, eine Art Rutschbahn: Das ging nicht. Das Schloss ist ein Stimmungsbild, auf den Kies gilt es eine mit vielen Auflagen verbundene Bühne zu bauen, um Opernbedingungen zu schaffen.
Was ist denn positiv möglich im Gegensatz zu einer traditionellen Bühne?
Ich denke als Regisseurin gar nicht so. Ich gehe von dem aus, was da ist. Aber immer wieder stellt sich die Frage: Wer ist wo? Denn wenn einer rechts abgeht, ist er rechts weggegangen: Dann kann er nicht rasch unter der Bühne durch auf die andere Seite. Diese schwierige Logistik zwingt mich zu einer grossen Klarheit in der Personenführung. Im besten Fall ergibt sich aber genau daraus Zwingendes, Logisches.
Die neuere Aufführungsgeschichte betrachtend, könnte man meinen, es sei extrem schwierig, die «Zauberflöte» zu inszenieren.
Ich finde die «Zauberflöte» eine etwas schizophrene Oper. Da hat es viele sperrige und unlogische Abläufe, auch eine gute Portion Frauenfeindlichkeit dringt immer wieder durch. Dennoch will ich diese Oper unbedingt inszenieren. Mir ist wichtig, echte Emotionen herauszuarbeiten.
Was gefiel Ihnen damals als kleines Mädchen am Werk am meisten? Die Königin der Nacht. Und heute?
Wenn meine Studierenden mit einem bestimmten Duett in den Unterricht kommen, denke ich: Nicht schon wieder! Aber für sie ists das erste Mal. Und dann arbeiten wir. In der Musik finde ich so immer neue Aspekte und Dimensionen. Zum Beispiel in Papagenos letzter Arie, wo er sich das Leben nehmen will.
Warum ist die «Zauberflöte» die beliebteste Oper der Welt geworden?
Ich frage mich das auch immer wieder, aber ich weiss es nicht. Finden wirklich alle Coca-Cola das beste Getränk, oder wird es dazu gemacht?
Steckt nicht mehr dahinter? Zeigen Kunstwerke wie die «Zauberflöte» nicht eine zutiefst natürliche Genialität?
Ja, das stimmt: Schon als Kind sang ich die halbe Zauberflöte zusammen mit meinem Vater durch, quer durch alle Rollen. Es ist einfach, die Melodien lassen sich leicht nachsingen, aber für die Profis ist und bleibt es sehr schwer, Mozart gut zu singen.
Die Zauberflöte
Fr, 24.7.–Sa, 22.8. Schloss Hallwyl Seengen AG
www.operschlosshallwyl.ch