Leidenschaftliche Beziehungen, rauschende Bälle, machtgierige Politiker, geschundene Bauern und bezaubernde Gräfinnen: Diese Stichworte könnten die Vermutung wecken, der Roman «Verschwundene Schätze» gehöre zur tränenseligen Trivialliteratur. Die Stichworte treffen zwar zu, der Stoff geht tatsächlich ans Herz. Doch es ist grosse, packende, klassische Erzählliteratur.
Eine Entdeckung
Das Buch entstand vor mehr als 70 Jahren und ist jetzt auf Deutsch erschienen. Das ungarische Original sorgte für Aufsehen, geriet in Vergessenheit und kann nun im deutschsprachigen Ausland lohnend entdeckt werden. Das ist das Verdienst des Verlags Zsolnay und des stilmächtigen Übersetzers Andreas Oplatka, der dem Autor seines Heimatlandes zum Nachruhm verhilft. Er setzt ihn auf eine Vergleichsstufe mit Leo Tolstois «Krieg und Frieden», Joseph Roths «Radetzkymarsch», Thomas Manns «Buddenbrooks» und Giuseppe Tomasi di Lampedusas «Der Leopard».
Miklós Bánffy war ursprünglich kein Schriftsteller. Dem Hochadel entstammend und von Haus aus Jurist, diente er Ungarn als Präfekt, Parlamentarier, Aussenminister und Intendant der Budapester Oper und des Nationaltheaters. Als Zeitzeuge erlebte er am Vorabend des Ersten Weltkriegs den von einer ignoranten und intriganten Classe politique verursachten Niedergang Ungarns als Teil des Habsburgerreichs. Davon handelt der Roman «Verschwundene Schätze».
Miklós Bánffy besass die Gabe des scharfsichtigen Beobachters, der seine Erkenntnisse nach dem Ende der politischen Tätigkeit als verbittert Betroffener mit literarischer Qualität verarbeitete: Er orientierte sich an historischen Fakten und gestaltete sie mit künstlerischer Freiheit zu einem Roman. Die Geschehnisse im Königreich Ungarn der Donaumonarchie werden lebendig durch die Schicksalsschilderungen von Personen und Volksgruppen, vor allem in Siebenbürgen. Mit der grossen Geschichte als rahmenbestimmendem Drama ist die private Geschichte eines idealistischen Grossgrundbesitzers verwoben. Er kämpft für die genossenschaftliche Modernisierung der Landwirtschaft und um die Liebe zu einer unglücklich verheirateten Gräfin.
Satz für Satz geniessen
Jeder zusammenfassende Versuch wirkt plump. Er würde den präzisen Nuancierungen und wunderbaren Zwischentönen des Romans so wenig gerecht, wie den stimmungsvollen, aber nie gefühligen Beschreibungen der Wälder, Hügel und Flüsse, der Morgennebel und des Abendrots. Die Lektüre braucht Geduld. Der Lauf der verwickelten Dinge ist langsam. Die schöne Sprache will Satz für Satz genossen sein.
Der Roman «Verschwundene Schätze» ist der zweite Band der dreiteiligen «Siebenbürger Geschichte». Der erste mit dem Titel «Schrift in Flammen» erschien 2012 auf Deutsch, die Übersetzung des dritten steht noch an. Sie darf mit Spannung erwartet werden.
Miklós Bánffy
«Verschwundene Schätze»
Übersetzung und Nachwort von Andreas Oplatka 574 Seiten
(Paul Zsolnay 2013).