Martial Leiter (60) aus Lausanne ist der Zeichner mit dem frechen Strich, dem rabenschwarzen Humor und dem pointierten Bild-Witz: Seit den 1970er-Jahren kommentiert er mit seinen Mitteln auch in Zeitungen der Deutschschweiz die politische Lage auf unvergleichliche Art. In Zeichnungen mit dem Leiter- typischen Raster, mit technisch-streng anmutender Schraffur; er gilt als einer der schärfsten satirischen Zeichner der Schweiz.
Wobei: Leiter macht inzwischen gar nicht mehr so viele seiner Bilder, für die er berühmt und berüchtigt ist. Wie er im Gespräch mit dem kulturtipp erklärt, habe sich die Auftragslage massiv verschlechtert, und zwar seit Längerem. Die Verhältnisse in der Medienlandschaft hätten sich verändert: «Die meisten Zeitungen haben heute eigene, festangestellte Zeichner. Da ist meine Arbeit weniger gefragt – auch aus Kostengründen.» Nüchtern und ohne grossen Gram stellt er das fest.
Kein Themenmangel
Jüngst zu Ende gegangen ist eine mehrjährige Zusammenarbeit mit dem Pariser Weltblatt «Le Monde», wo er im Wochentakt seine Zeichnungen veröffentlichte. Aus Sympathie macht er noch ab und zu kommentierende Bilder für eine kleine Lausanner Zeitung. Themen gäbe es aber nach wie vor genug. Soziale und politische Fragen, die man zeichnerisch umsetzen müsste. «Aber muss man das noch machen», fragt sich Leiter auch, «wenn der Normalfall das Extreme geworden ist? Das ist ein bisschen das Problem.»
Schreckenspanorama
Er will sich nicht beklagen, auch wenn es für ihn in ökonomischer Hinsicht seit vielen Jahren wenig rosig aussieht: «Ich habe mein Leben immer den Möglichkeiten angepasst; ich habe kein Auto, ich lebe bescheiden.» Martial Leiter hat sein Arbeiten schon vor Jahren hauptsächlich auf die freie Kunst verlegt, hat vermehrt von der spitzen Feder zum sanften Pinsel gewechselt. Er zeichnet für Ausstellungen und für Buchpublikationen, macht Objekte oder gestaltet mal ein Bühnenbild.
Unter Leiters freien künstlerischen Arbeiten vergangener Jahre findet man erste Totentanz-Darstellungen. «Der Totentanz beschäftigt mich schon längere Zeit. In der Vergangenheit gab es immer wieder Anläufe für Projekte, die aber nicht realisiert wurden.» Im Zusammenhang mit seiner aktuellen grossen Werkschau im Cartoonmuseum Basel sei die Idee aufgekommen, für diesen Ort eigens einen neuen Totentanz-Zyklus zu schaffen. So ist eine Serie von 20 Bildern von über 15 Metern Länge entstanden, ein modernes Panorama des Schreckens.
Dummheiten von heute
«Es sind Adaptionen des Themas», erklärt Leiter, «Aktualisierungen, Neuinterpretationen.» Der klassische Totentanz zeigt seit dem 14. Jahrhundert die gesellschaftliche Pyramide, die Angehörigen aller Stände, die nicht verschont werden: Der Tod holt sie alle, ob Kaiser, König, Papst, Bürger, Bauer oder Bettler. «Heute», so Leiter, «ist die gesellschaftliche Pyramide nicht mehr so deutlich.» In einem Beispiel zeigt Leiter eine zerstörte, praktisch menschenleere Umwelt: «Der Tod bewegt sich in einer Wüste, in einer Art Niemandsland, in einer kaputten Welt.» Leiter nennt als Stichworte «Fukushima oder Hiroshima, die Dummheiten von heute halt». Der Tod hat hier fast nichts mehr zu tun. Inmitten von Verwüstung hat er seine Sense mit einem Golfschläger getauscht.
Nicht nur Pessimist
Ist einer, der wie Martial Leiter düstere Szenerien zeichnet, eigentlich Pessimist, der nicht anders kann, als sozusagen schwarz zu malen? «Keineswegs», sagt der Künstler. «Gut, bezüglich der politischen oder Finanzwelt, in der wir leben, bin ich schon Pessimist, keine Frage. Aber was das Leben selber angeht, bin ich es nicht.» Seine Bilderwelt sei nicht nur dunkel, düster und schwarz. «Wenn ich in meinen freien Arbeiten Berge zeichne, zeigen sie sich zwar auch ohne Sonnenuntergang, sie sind schon etwas rau. Doch so sind Berge. Aber wenn man in den Wald geht und Vögel beobachtet, ist das doch etwas Schönes, das glücklicherweise auch existiert.»