Der «Arlequin assis» von Pablo Picasso (Bild ganz rechts) bringt jeden älteren Basler ins Schwärmen: Im Herbst 1967 nämlich hatten die Basler Stimmberechtigten entschieden, dieses und ein weiteres Picasso-Werk mit Steuergeldern zu kaufen. Nun ist der «Sitzende Harlekin» in der neuen Ausstellung «Künstlerfreundschaften» im Kunstmuseum Basel zu sehen. Denn das Porträt ist eng mit der Sammlung Im Obersteg verbunden, in welche die Besuchenden diesen Sommer einen Einblick erhalten.
Russische Künstler
Doch der Reihe nach: Die Geschichte der Basler Sammlung Im Obersteg liest sich wie ein Teil der jüngeren europäischen Kunstgeschichte. Der junge Basler Speditionsunternehmer Karl Im Obersteg (1883–1969) erkrankte 1919 an der Spanischen Grippe und musste zur Erholung nach Ascona. Dort lernte er durch den Solothurner Maler Cuno Amiet eine Gruppe exilierter russischer Künstler kennen; darunter Alexej von Jawlensky (1865–1941) und Robert Genin (1884–1943). Als Schweizer wurde Im Obersteg für diese Russen zum Ansprechpartner in allen Lebenslagen, wie seine Schwiegertochter Doris Im Obersteg-Lerch in ihren Familienerinnerungen schreibt: «Er musste Transporte für sie organisieren, Hotels buchen oder Häuser verkaufen.» Genin soll ihn sogar nach der Adresse seiner geschiedenen Frau gefragt haben. Unbekannt ist bis heute,
ob Im Obersteg sie tatsächlich herausfinden konnte.
Exzentrischer Sammler
In der Zwischenkriegszeit begann Karl Im Obersteg Bilder zu sammeln. Er verfolgte damit kein Ziel, er wollte keine systematische Sammlung einrichten. Er kaufte einfach, was ihm gefiel: «Die Sammlung geschah», wie seine Schwiegertochter schreibt. Dabei ging der Speditionsunternehmer pragmatisch vor: Passte ein Bild, das er mochte, an keine Wand zu Hause, verzichtete er auf den Kauf. Denn Im Obersteg wollte seine Werke stets um sich haben und keinesfalls in einem Depot versorgen, wie dies viele wohlhabende Kunstfreunde tun. Seine Sammlertätigkeit erscheint aus heutiger Sicht mitunter ziemlich exzentrisch: So trennte er sich von einzelnen Bildern, wenn er nach einer gewissen Zeit den Eindruck hatte, dass sie einen Fehler aufwiesen, der ihm beim Kauf entgangen war.
Seine Schwiegertochter charakterisiert Im Oberstegs Sammlung als «eher schwermütig». Sie führt diesen Eindruck auf die prägenden Erinnerungen des Kunstliebhabers an die Zeit des Erstens Weltkriegs zurück. Als Dienstuntauglicher hatte er sich im Dienst des Roten Kreuzes um Kriegsgeschädigte gekümmert und litt unter dieser Erfahrung. Nach seinem Tod 1969 führte sein Sohn Jürg Im Obersteg die Sammlung weiter. Über eine Stiftung ging sie schliesslich ans Kunstmuseum Basel.
Im Mittelpunkt der aktuellen Basler Ausstellung steht das Werk des russischen Expressionisten Alexej von Jawlensky mit fast 30 Werken. Karl Im Obersteg fühlte sich ihm offenbar besonders verbunden. Der Russe lebte bis 1914 in Deutschland und wurde mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Ausländer das Landes verwiesen. Über Genf und Zürich kam er ins Tessin.
In jenem Lebensabschnitt malte er seine «Mystischen Köpfe» und seine «Abstrakten Köpfe». Beispiele davon sind in der Basler Ausstellung zu sehen. Das frühere Selbstporträt von 1911 ist eine Art Vorläufer jener Reihe von Werken, in denen Jawlensky sich mit menschlichen Gesichtern auseinandersetzte.
Briefe von Chagall
Die Ausstellung dokumentiert die Beziehung zwischen Karl Im Obersteg und Jawlensky nicht nur künstlerisch. Sie zeigt auch Briefe der beiden, die um ihr gemeinsames Interesse an der damaligen Kunstwelt kreisen. Ebenso wie die Korrespondenz mit Marc Chagall (1887–1985), zum Beispiel über das Werk «Der Jude in Schwarz-Weiss» (Bild links unten). Anscheinend war Im Obersteg irritiert, als in den 20er-Jahren zwei weitere Varianten dieser Darstellung auftauchten, die er als Einziger zu besitzen glaubte. Chagall konnte ihn jedoch beruhigen: Im Obersteg sei im Besitz der Urversion aus dem Jahr 1914. Dieser Briefwechsel zeigt, dass die Ausstellung zur Sammlung Im Obersteg in Basel mehr als eine künstlerische Sonderschau ist. Interessierte finden hier vielmehr einen Ausschnitt der Kunstgeschichte anschaulich dargestellt.
Chronik des Harlekins
Dazu gehört auch die Chronik des «Sitzenden Harlekins» von Picasso. Karl Im Obersteg soll laut seiner Schwiegertochter Doris Im Obersteg-Lerch das Werk von 1923 als Erster erworben haben, was allerdings umstritten ist. Nach kurzer Zeit gefiel ihm die Kopfhaltung des Mannes jedenfalls nicht mehr, er erachtete sie als «unnatürlich». Schliesslich entschied er sich für eine zweite Version des Bildes, den «Arlequin, fond foncé», der heute jedoch anderweitig in Privatbesitz ist.
Der «Arlequin assis» gelangte in die Sammlung seines Basler Freundes Rudolf Staechelin. Dessen Sohn Peter musste das Werk 1967 veräussern, weil er mit seiner Fluggesellschaft «Globe Air» bankrottging. Es kam zur legendären Volksabstimmung, um das Bild der Stadt Basel zu erhalten.