«Soll man das Fünfzigjahrjubiläum des Frauenstimmrechts denn überhaupt feiern? Oder nur herzhaft darüber lachen? Oder sich nachträglich fremdschämen? Daran erinnern, dass 1971 nur zwei Drittel der Schweizer Männer ein Ja in die Urne leg-ten – und sechs Kantone ein Nein?» Das fragen die Journalistinnen Rita Jost und Heidi Kronenberg, Herausgeberinnen der Anthologie mit dem augenzwinkernden Titel «Gruss aus der Küche». Und kommen natürlich zum Schluss: Ja, man soll. Denn das Jubiläum lasse sich als Chance nutzen, um «Einspruch zu erheben gegen Einschränkungen und Einengungen von heute».
Autorinnen geben aufschlussreiche Einblicke
30 Autorinnen und Historikerinnen zwischen 30 und 80 haben die Chance genutzt und Texte beigetragen über Geschlechterverhältnisse der vergangenen Jahrzehnte und das heutige Frausein in einem Land, das als eines der letzten demokratischen Länder der Welt das Frauenstimmrecht eingeführt hat. Hier wird frei nach dem Küchenmotto angestossen, aufgetischt, abgeschreckt und einkassiert. Entstanden sind historische Analysen, kritische Reflexionen, persönliche Berichte, fiktive Geschichten und vieles mehr.
Die Berner Poetin Ariane von Graffenried schreibt etwa einen Brief an die ehemalige Präsidentin des «Bundes der Schweizerinnen gegen das Frauenstimmrecht» und zeigt den offenkundigsten Widerspruch auf: Denn als politisch aktive Taktikerin und Kämpferin entsprach die Präsidentin selbst so gar nicht dem von ihr postulierten Frauenbild. Die Journalistin Susan Boos hat aus alten «Nebelspalter»-Ausgaben vermeintlich humorvolle Beiträge zum Thema Frauenstimmrecht zusammengetragen, welche die – von Männern für Männer gemachte – Satirezeitschrift damals auf Lager hatte.
«Theo bestimmt, Theo gestattet, Theo billigt»
Ins Reich der Fiktion taucht die 80-jährige Angelika Waldis mit ihrer Geschichte über Erna, die genug hat von ihrer einengenden Rolle und ihrem Mann: «Theo ist das Oberhaupt der ehelichen Gemeinschaft. So sagt es das Gesetz. Theo bestimmt, Theo gestattet, Theo billigt.» Und das, entscheidet Erna eines Tages, ist nicht in ihrem Sinn. Ebenfalls fiktiv ist die Geschichte der Satirikerin Patti Basler. Sie erzählt von Martha, die in Kriegszeiten aufgewachsen ist und in der Fabrik stets ohne Murren für den halben Lohn der Männer gearbeitet hat. Mit den «Feministinnen, Emanzen oder gar Gstudierten» konnte sie nie etwas anfangen – aber als sie erstmals die Abstimmungsvorlagen in Händen hält, entfährt ihr dennoch «ein Juchzer aus tiefster Brust».
Die junge Journalistin Nina Kunz wiederum hat beim Apfelkuchen-Backen mit ihrer Oma diskutiert, die gerne Medizin studiert hätte und ihrer Enkelin auf den Weg mitgibt: «Sei mutig! Lass dir nicht alles bieten!»
«Gruss aus der Küche» ist ein Buch, das zum Weiterdenken und Diskutieren anregt. Zum Thema Frauenstimmrecht öffnen zudem zwei Ausstellungen in Luzern und Bern, die von engagierten Pionierinnen erzählen.
Ausstellungen
50 Jahre Frauenstimmrecht Luzern
Fr, 23.10.–So, 29.8. Historisches Museum Luzern
Frauen ins Bundeshaus!
50 Jahre Frauenstimmrecht
Do, 19.11.–So, 4.7. Bernisches Historisches Museum Bern
Buch
Gruss aus der Küche – Texte zum Frauenstimmrecht
Hg. Rita Jost & Heidi Kronenberg
Mit Illustrationen von Nora Ryser, 224 S.
(Rotpunktverlag 2020)