Salonkultur Wenn die Stube zur Bühne wird
Brecht oder Bach in den eigenen vier Wänden: <br />
Die Salonkultur aus den letzten Jahrhunderten erlebt ein Comeback.
Inhalt
Kulturtipp 11/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Babina Cathomen
Wenn der Geschichtenkurier an der Tür klingelt, können sich Gastgeber und Gäste im Sofa zurücklehnen. 40 Minuten lang wird die private Stube zur Bühne, auf der ein Schauspieler in einer szenischen Lesung Texte etwa zum Thema «Liebe, Leidenschaft und andere feurige Begebenheiten» vorträgt. Nach dem Vorbild des Pizzakuriers werden beim Projekt «Anruf genügt» Geschichten auf Bestellung nach Hause geliefert. Lilian Näf, die seit...
Wenn der Geschichtenkurier an der Tür klingelt, können sich Gastgeber und Gäste im Sofa zurücklehnen. 40 Minuten lang wird die private Stube zur Bühne, auf der ein Schauspieler in einer szenischen Lesung Texte etwa zum Thema «Liebe, Leidenschaft und andere feurige Begebenheiten» vorträgt. Nach dem Vorbild des Pizzakuriers werden beim Projekt «Anruf genügt» Geschichten auf Bestellung nach Hause geliefert. Lilian Näf, die seit Anfang dabei ist, schwärmt von der grossen Nähe zum Publikum oder anschliessenden Gesprächen, die dabei entstehen.
Klassik bis «Stubete»
Die privaten Wohnzimmer-Veranstaltungen boomen. Was im 16. Jahrhundert unter dem Begriff Salonkultur seinen Anfang nahm, erlebt heute in zahlreichen modernen Varianten ein Revival. Einst wurden die Salonabende in prunkvollen Privaträumen vorwiegend von wohlhabenden, gebildeten Frauen für ein bürgerliches, elitäres Publikum organisiert. Heute haben sich die gesellschaftlichen und örtlichen Grenzen aufgelöst: Der Geschichtenkurier tritt sowohl in einer Einzimmerwohnung als auch in einem Schafstall auf der Alp auf oder begibt sich bei schönem Wetter hinaus in den Garten und liest unter Linden, wie Organisator Adi Blum erzählt. «Jeder soll sich Literatur leisten können», meint er.
Auch Martina Mutzner, welche den jährlich stattfindenden «Musiksalon» in privaten Räumlichkeiten in Graubünden organisiert, betont, dass ihre Konzertreihe nicht dem Bildungsbürgertum vorbehalten bleiben soll. Dies wird auch im Programm ersichtlich, das von Klassik bis zu volkstümlicher Musik im Stil einer «Stubete» reicht. Wohnzimmer werden ebenso bespielt wie das Foyer eines Hochhauses. Für die Ausgabe im nächsten Jahr ist gar eine Kammerballett-Oper geplant, die in einer privaten Werkstatt stattfinden wird. Mutzner erzählt von der konzentrierten Spannung und der Nervosität der Künstler, die in einem solch intimen Rahmen förmlich spürbar ist: «Für einmal wird das Publikum nicht durch einen Orchestergraben von den Künstlern getrennt, je nach Platzverhältnissen sitzen die Musiker fünf Zentimeter von den Zuschauern entfernt.»
Kunst im Backofen
Nach ähnlichem Prinzip organisiert die Berner Musikerin Margrit Rieben ihr Kurzkonzertfestival. Sie lädt jeweils zu sich nach Hause in ihr 16-Quadratmeter-Wohnzimmer ein. Auch sie schätzt die unkonventionelle Alternative zu Theater- und Konzertsälen und die Nähe zwischen Künstler und Publikum, wie sie nach einem Konzert gegenüber Radio DRS sagte. Sitzend, stehend und kauernd liessen sich die Zuschauer auf die elektronischen Improvisationen verschiedener Musiker ein. In Riebens Küche erwartete sie eine künstlerische Überraschung: Jeden Abend wuchs ein anderes Kunstwerk aus dem Backofen heraus.
Öffentliches privat macht auch der Basler Schauspieler und Sänger Balthasar Ewald. Mit Rucksack-Klavier im Gepäck tritt er an und singt und erzählt. Die moderne Salonkultur hat viele Gesichter.