Rassisten, das sind immer die anderen. Nazis, Rechtskonservative, Ewiggestrige. Und Donald Trump. Doch so einfach ist es nicht. Rassismus stecke in allen weissen Menschen, unabhängig von ihrer politischen Gesinnung. Davon ist Robin DiAngelo überzeugt.
Mit nüchterner, klarer Sprache beschreibt die US-Soziologin in ihrem Buch «Wir müssen über Rassismus sprechen» das Phänomen der «weissen Verletzlichkeit». Gemeint ist die abwehrende Haltung, mit der weisse Menschen oft reagieren, wenn man ihnen rassistisches Verhalten vorwirft. «Eine Empfindlichkeit, die zwar durch Unbehagen und Angst ausgelöst wird, aber aus einer Überlegenheits- und Anspruchshaltung erwächst», meint sie.
Im Alltag bedeutet das: Werden weisse Menschen beispielsweise auf eine unüberlegte rassistische Äusserung hingewiesen, reagieren sie in der Regel beleidigt oder wütend.
Mit unbequemen Wahrheiten konfrontiert
Selbst beim Lesen der Fachliteratur ertappt man sich dabei, der Autorin widersprechen zu wollen. «Ich doch nicht!», schiesst es einem durch den Kopf. «Für mich sind alle Menschen gleich.» Mit dieser vermeintlich weltoffenen Einstellung und dem Abstreiten des eigenen Rassismus tragen laut Robin DiAngelo jedoch gerade tolerante Weisse ungewollt dazu bei, das Thema Rassismus im öffentlichen Diskurs auszuklammern und da-mit den Status Quo aufrechtzuerhalten.
«Leugnen ist der Herzschlag des Rassismus», bringt es Ibram X. Kendi fast poetisch auf den Punkt. Anders als DiAngelo, deren Buch wie ein Ratgeber funktioniert, gibt der Historiker abstrakte Denkanstösse. Klug verknüpft der 38-Jährige Autobiografisches mit aktuellen Zahlen und historischen Fakten. In seinem auch auf Deutsch erschienenen Buch «How to be an Antiracist» macht er anhand seiner Lebensgeschichte den strukturellen Rassismus sichtbar, der tief in den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen in den USA, aber auch andernorts verankert ist.
Ebenfalls auf persönliche Erfahrungen bezieht sich Reni Eddo-Lodge bei ihrer Rassismus-Analyse «Warum ich nicht länger mit Weissen über Hautfarbe spreche». Anders als die beiden US-Autoren, legt die britische Journalistin den Fokus auf die historischen Entwicklungen in Grossbritannien. Radikal und verständlich legt sie dabei die Mechanismen von strukturellem Rassismus offen, der sich weltweit quer durch alle Gesellschaften zieht.
Eine Frage der Perspektive
Die Idee unterschiedlicher Menschenrassen ist, ähnlich wie Gender, lediglich ein gesellschaftliches Konstrukt, wie Robin DiAngelo betont. Die Ursprünge gehen bis auf die Kolonialzeit zurück. Damals wurde basierend auf pseudowissenschaftlichen «Erkenntnissen» eine Hierarchie erschaffen, um die Eroberungsfeldzüge und Missionarstätigkeiten der Europäer zu rechtfertigen. Bis heute macht sich dieses System in der alltäglichen Ausgrenzung und institutionellen Diskriminierung von «People of Color» bemerkbar. Zum Beispiel bei der Wohnungssuche oder auf dem Arbeitsmarkt, wie Reni Eddo-Lodge anhand konkreter Beispiele aufzeigt.
Weiss ist die Norm, Schwarzsein das «andere». Das gilt nach wie vor auch im kulturellen Bereich, sei es in Büchern oder Kinofilmen. Wieso sollte zum Beispiel ein schwarzer James Bond weniger britisch sein als ein weisser 007? «Dass nicht-weisse Figuren auf Nebenrollen oder symbolhafte Auftritte reduziert werden, ist schon so lange üblich, dass es für manche völlig unvorstellbar ist, sich mit schwarzer Haut in einer Hauptrolle zu identifizieren», meint Reni Eddo-Lodge. Dabei eröffnen sich durch mehr Diversität auch in der Fiktion neue, spannende Sichtweisen. Es gibt eine Vielzahl an exzellenten Romanen, die sich solchen Kategorisierungen verwehren.
Kühne Werke junger Autorinnen und Autoren
Der 32-jährigen Nigerianerin Oyinkan Braithwaite gelingt mit ihrem Debütroman «Meine Schwester, die Serienmörderin» ein abgründiger, bissiger Krimi mit feministischem Unterton. Als Krankenschwester kennt die Protagonistin die besten Tricks, um Blut zu entfernen. Von ihrem Wissen kann sie regen Gebrauch machen, denn ihre Schwester bringt gerne mal ihre Liebhaber um. Aus dieser abstrusen Ausgangssituation entwickelt sich ein unterhaltsamer Krimi.
Genauso kühn ist das Erstlingswerk von Candice Carty-Wil-liams. Die Britin erzählt in «Queenie» die Geschichte einer Jungredaktorin in London, deren Leben nach einer Trennung aus dem Ruder läuft. Eine entwaffnende, kurzweilige Erzählung, die brisante Themen wie die «Black Lives Matter»-Bewegung, Feminismus und psychische Krankheiten streift. Sarkastisch entlarvt die Nachwuchsautorin beiläufig den allgegenwärtigen Alltagsrassismus.
Der US-Autor Ta-Nehisi Coates geht in seinem aussergewöhnlichen Epos «Der Wassertänzer» den Wurzeln von Rassismus in den USA nach. Aus der Sicht eines Sklavenjungen beschreibt er in bildgewaltiger Sprache dessen Leidensweg in einer zutiefst rassistischen Gesellschaft. Dabei unterlegt er seinen Entwicklungsroman mit einer mystischen Nebenhandlung, kombiniert historische Ereignisse mit Fantasy. Eine wagemutige Mischung, die hervorragend funktioniert und bewusst macht, wie real das Problem von Rassismus selbst 150 Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei immer noch ist.
Auch in der Schweiz. Hier entbrannte jüngst eine Debatte über die Bezeichnung von Schokoküssen. Es wird verharmlost und mit fragwürdigen Rechtfertigungen relativiert: «Das war doch schon immer so.» Solche Äusserungen erschweren eine tiefgreifende Diskussion über Rassismus. Wer stichhaltige Argumente sucht, findet Antworten in den Sachbüchern aus dem angloamerikanischen Raum.
Sachbücher
Robin DiAngelo
Wir müssen über Rassismus sprechen
224 Seiten
(Hoffmann & Campe 2020)
Ibram X. Kendi
How to be an Antiracist
416 Seiten
(btb 2020)
Reni Eddo-Lodge
Warum ich nicht länger mit Weissen über Hautfarbe spreche
263 Seiten
(Tropen 2019)
Romane
Oyinkan Braithwaite
Meine Schwester, die Serienmörderin
240 Seiten
(Blumenbar 2020)
Candice Carty-Williams
Queenie
544 Seiten
(Blumenbar 2020)
Ta-Nehisi Coates
Der Wassertänzer
544 Seiten
(Blessing 2020)