Sachbücher: Umkämpfte Geschichte
Zwei Biografien der Bundesräte Philipp Etter und Marcel Pilet-Golaz zeichnen ein nuanciertes Bild der Schweiz im Zweiten Weltkrieg.
Inhalt
Kulturtipp 01/2021
Letzte Aktualisierung:
21.12.2020
Rolf App
Der eine ist ein fulminanter Redner, der andere der einflussreiche Strippenzieher im Hintergrund. Im Bundesrat bilden der populäre katholisch-kon-servative Innenminister Philipp Etter und der scharfsinnige freisinnige Aussenminister Marcel Pilet-Golaz in der Krise des Zweiten Weltkriegs ein eingespieltes Team. Jetzt hat der ergiebige private Nachlass dieser Bundesräte, die von der Nachwelt wenig positiv beurteilt wurden, Eingang gefunden in zwei Biograf...
Der eine ist ein fulminanter Redner, der andere der einflussreiche Strippenzieher im Hintergrund. Im Bundesrat bilden der populäre katholisch-kon-servative Innenminister Philipp Etter und der scharfsinnige freisinnige Aussenminister Marcel Pilet-Golaz in der Krise des Zweiten Weltkriegs ein eingespieltes Team. Jetzt hat der ergiebige private Nachlass dieser Bundesräte, die von der Nachwelt wenig positiv beurteilt wurden, Eingang gefunden in zwei Biografien.
Der Historiker Thomas Zaugg zeigt den Langzeit-Bundesrat Etter – von 1934 bis 1959 im Amt – als einen Magistraten, der vor Kriegsbeginn überzeugt, im Krieg dann aber mit unausgegorenen Ideen Kritik weckt und ganz froh ist, dass General Guisan mit seinem Gespür für Stimmungen eine sehr viel bessere Figur abgibt. Dass dieser General mit riskanten Aktionen seine eigene Aussenpolitik betreibt, ärgert den Aussenminister Marcel Pilet-Golaz. Ihn schildert der Journalist Hanspeter Born als einen hochintelligenten Diplomaten, der deutschem Druck flexibel und zugleich prinzipientreu zu begegnen weiss. Allerdings unterschätzt Pilet-Golaz im Krisenjahr 1940 die Öffentlichkeit, deren Unruhe er mit einer missverständlich formulierten Rede und dem Empfang für drei Schweizer Nazis auf die Spitze treibt. Als Kommunikator versagt er kläglich.
Unterschiedlich ist die Machart der beiden Biografien: Zaugg liebt das Detail, übt lebhaft Kritik an der Geschichtsschreibung vergangener Jahrzehnte und erzählt in den Fussnoten interessante kleine Geschichten. Born verzichtet ganz auf Anmerkungen, in kurzen Kapiteln zitiert er Stimmen und erzählt Episoden aus einem hypernervösen Jahr.
Zwei Bundesräte als Projektionsflächen
Für Aussenminister Pilet-Golaz gilt, was das Bundesratslexikon über Philipp Etter sagt: Er sei in der Nachkriegszeit «zu einer Projektionsfläche für den Unmut und die Scham über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg» geworden. Das scheint bis heute zu gelten: In einer geradezu wütenden Reaktion hat der emeritierte Universitätsprofessor Jakob Tanner in der Wochenzeitung (WoZ) einen Bogen geschlagen vom Aufkommen rechtsextremer Par-teien zu Zauggs differenzierter Darstellung – mit dem Argument, Geschichtsschreibung werde in Zeiten der ideologischen Polarisierung zum «Kampfplatz». Für die vielen Grautöne der 1930er- und 1940er-Jahre ist da kein Platz.
Bücher
Thomas Zaugg
Bundesrat Philipp Etter (1891–1977)
766 Seiten
(NZZ Libro 2020)
Hanspeter Born
Staatsmann im Sturm. Pilet-Golaz und das Jahr 1940
512 Seiten
(Münsterverlag 2020)