Mit 60 Jahren erhielt sie den Booker Prize. Für ihren Roman «Mädchen, Frau etc.» wurde Bernardine Evaristo 2019 als erste schwarze Autorin mit dem renommierten Literaturpreis aus-gezeichnet. «Warum ich niemals aufgebe» lautet der Untertitel ihrer nun erschienenen Memoiren «Manifesto» und macht deutlich, dass ihr der Erfolg nicht einfach zuflog.
Jahrzehntelang war Evaristo im Kulturbetrieb tätig, gründete und leitete vor ihrer literarischen Karriere etwa ein schwarzes Frauentheater. «Wir gruben Historisches aus, deuteten es neu, erkundeten Perspektiven, Kulturen und Geschichten, die den Randbereich ins Zentrum rückten», erinnert sie sich und erklärt, wie dieser vielschichtige Ansatz ihren Schreibstil beeinflusste. Fantasievoll vermischt sie in ihren Büchern historische Fakten mit Fiktion, getragen von lebendigen, glaubwürdigen Figuren.
Hineingeboren in eine rassistische Gesellschaft
Evaristo reflektiert ihr eigenes Werk, ohne dabei pathetisch zu klingen, und gewährt einen seltenen Einblick in das Schaffen einer Schriftstellerin. Gleichzeitig zeichnet sie leichtfüssig und selbstironisch ihren Lebensweg nach, unterlegt mit privaten Fotos. Als viertes von acht Kindern und Tochter einer britischen Mutter und eines nigerianischen Vaters wächst sie in einer überwiegend weissen Wohngegend im Süden Londons auf, hineingeboren in eine patriarchale, zutiefst rassistische Gesellschaft. Ihre Umwelt nimmt sie «als Ausländerin, Aussenseiterin, Fremde» wahr. Die eigene Grossmutter hat keine Bilder der Enkelkinder im Haus stehen.
Mit ihrer persönlichen Geschichte ermutigt Bernardine Evaristo andere Frauen, selbstbewusst durchs Leben zu gehen und niemals aufzugeben. Die Schriftstellerin ist überzeugt: Wer schon früh im Leben kämpfen muss, wird dadurch stärker und entschlossener.
Ein Credo, das auch Schauspielerin und Drehbuchautorin Michaela Coel verinnerlicht hat. Als Tochter ghanaischer Eltern in einer Sozialwohnungssiedlung in London aufgewachsen, bekannte sie sich schon als Teenager zu ihrer Aussenseiterrolle. Im Verlauf ihres Werdegangs sah sie sich immer wieder mit Sexismus, Rassismus und sexuellem Missbrauch konfrontiert. Einige dieser schmerzhaften Erlebnisse beschreibt die heute 34-Jährige schonungslos ehrlich in ihrem Manifest «Misfits». Das kompakte Buch basiert auf einem einstündigen Vortrag, den die Filmemacherin, die mit der Serie «I May Destroy You» weltweit durchstartete, 2018 vor Vertretern der internationalen Filmbranche in Edinburgh hielt.
Aufrichtig und wütend von Missständen berichten
Sie sei es gewohnt, «mit einem Lächeln im Gesicht vom Grauen zu berichten», schreibt Michaela Coel in der Einleitung. Und so erzählt sie aufrichtig und wütend, in einer bildhaften, unverblümten Sprache von Diskriminierungs- und Missbrauchserfahrungen.
Während sich Evaristo gegen die Unterrepräsentation schwarzer Autorinnen im britischen Literaturbetrieb engagiert, macht Coel auf die schwierige Lage von People of Colour im Film aufmerksam und fordert mehr Vielfalt und Toleranz. So nutzen beide Frauen ihre individuellen Lebensgeschichten, um gesellschaftliche Normen zu hinterfragen und ein Umdenken herbeizuführen.
Bücher
Bernardine Evaristo
Manifesto. Warum ich niemals aufgebe
Aus dem Englischen von Tanja Handels
256 Seiten
(Tropen 2022)
Michaela Coel
Misfits. Ein Manifest
Aus dem Englischen von Dominique Haensell
128 Seiten
(Ullstein 2022)