Sachbuch: Warum die Taliban siegten
In «Afghanistan von innen» erzählt die Reporterin Antonia Rados von ihren Reisen durch ein politisch und gesellschaftlich zerklüftetes Land. Und sie erklärt das Scheitern des Westens.
Inhalt
Kulturtipp 19/2022
Rolf App
April, 1992: Der von den Russen gestützte afghanische Präsident Nadschibullah hat sich abgesetzt. Aus allen Landesteilen machen sich die von den US-Amerikanern mit Waffen ausgestatteten Mudschahedin auf den Weg, in Kabul die Macht zu übernehmen. Im pakistanischen Peschawar sind die Kämpfer des gemässigten Abdul Haq früh aufgestanden, von ihnen beschützt und versteckt geht auch die Reporterin Antonia Rados auf eine beschwerliche Reise. Im staubbedeckten und a...
April, 1992: Der von den Russen gestützte afghanische Präsident Nadschibullah hat sich abgesetzt. Aus allen Landesteilen machen sich die von den US-Amerikanern mit Waffen ausgestatteten Mudschahedin auf den Weg, in Kabul die Macht zu übernehmen. Im pakistanischen Peschawar sind die Kämpfer des gemässigten Abdul Haq früh aufgestanden, von ihnen beschützt und versteckt geht auch die Reporterin Antonia Rados auf eine beschwerliche Reise. Im staubbedeckten und ausgeplünderten Winterpalast der afghanischen Könige in Dschalalabad werden sie übernachten, dort wird sie den neuen Gouverneur fragen, wie er es mit der Förderung von Frauen hält. «Frauen sollen eine Ausbildung erhalten», sagt er nach langem Zögern. Anderntags werden die angereisten Stammesführer aus den Dörfern der Umgebung ihr versichern, dass die Frauen daheimbleiben sollen. Was müssen sie da lesen und schreiben lernen?
1980 reist Rados erstmals nach Afghanistan
Solche Episoden sind es, die Antonia Rados’ Buch «Afghanistan von innen» zum Leseerlebnis und zum Erkenntnisgewinn machen. 1980 reist sie nach dem Einmarsch der Sowjetunion als junge Journalistin ein erstes Mal in das ebenso riesige wie eindrückliche Land. Sie beobachtet die Niederlage der Russen, später das Hervorgehen der Taliban aus den Mudschahedin und ihre Vertreibung durch die USA und deren Verbündete nach den Anschlägen auf das World Trade Center. Zuletzt sieht sie auch die milliardenteuren, oft sehr ungeschickten Bemühungen des Westens im blutigen Kleinkrieg mit den immer stärker werdenden Taliban scheitern. Immer wieder flicht Antonia Rados ihre Erlebnisse ein und erzählt von den Gefahren ihres Reporterinnenlebens. Sie beschreibt die Unfähigkeit des Westens, sich auf die Mentalität des Landes einzulassen, und blickt zurück in die Geschichte. «Afghanistan ist seit Jahrtausenden ein Kreuzungspunkt der Zivilisationen », schreibt sie. Hier haben sich Truppen von Alexander dem Grossen ebenso niedergelassen wie später die arabischen Krieger und das Reiterheer der Mongolen – bis im 19. Jahrhundert die Briten ebenso das Feld räumen müssen wie später die Russen und schliesslich die US-Amerikaner.
Das Land zu einen, erweist sich als schwierig
Seit Mitte des 18. Jahrhunderts bemühen sich Könige, die miteinander verfeindeten Völker Afghanistans zu einen und ihnen eine Regierung zu geben, die diesen Namen auch verdient. Besonders weit gebracht haben auch sie es nicht. Woran es liegt, kann man erahnen, wenn Antonia Rados die Leser mitnimmt auf ihre Reisen über Land auf teils sehr gefährlichen Expeditionen. Sie trifft auf eine ebenso gastfreundliche wie tief traditionelle Bevölkerung, die sich allem Neuen vehement entgegenstellt. Das hat durch- aus seine Gründe, etwa wenn Frauen anstelle ihrer Männer ins Gefängnis gehen, weil diese als Ernährer einer ganzen Sippe gebraucht werden. Oder wenn ein Familienvater erklärt, er habe seine älteste Tochter für umgerechnet 1000 Euro an einen Freier verkauft. Mit ihren Schwestern werde er ebenso verfahren, weil er sonst kein Einkommen habe.
Antonia Rados
Afghanistan von innen – Wie der Frieden verspielt wurde
327 Seiten (Brandstätter 2022)