Wer Beziehungsgeschichten mag und gern Vögel beobachtet, wird dieses Buch lieben. Denn die amüsanten Beschreibungen des Vogelexperten und EuronaturPreisträgers Ernst Paul Dörfler sind skurril, herzerwärmend und vor allem erstaunlich. Dörfler schreibt in launigem Erzählstil von spätzündenden Adlern und schauspielernden Schnepfen, deren bindungsscheue Weibchen die Brut allein aufziehen und bei herannahender Gefahr eine Verletzung vortäuschen, um den Räuber vom Nest wegzulocken.
Vom Fortpflanzungsverhalten ausgehend, arbeitet der Autor Charakterisierungen von Vogelarten heraus. Er wechselt zwischen «menschelnden» Zuschreibungen wie treu, eifersüchtig oder sexuell abenteuerlustig und streng biologischen Erläuterungen hin und her und ermöglicht so eine treffende und zugängliche Einsicht in das Liebesleben der Vögel. Und deren Dramen können es mit jeder Telenovela aufnehmen.
So führen etwa die unscheinbaren Heckenbraunellen ein kompliziertes polyamouröses Beziehungsleben: Ist die Nahrung knapp, lockt das Weibchen einen Zweiternährer an, den es mit stündlicher Kopulation belohnt. Die misstrauischen Männchen führen deshalb vor der Begattung ein kompliziertes Ritual durch, bei dem sie die Kloake des Weibchens zur Vibration bringen, bis ein Spermatropfen des vorherigen Sexualpartners austritt.
Da dies keine zuverlässige rückwirkende Verhütung ist, haben die Küken einer Brut oft verschiedene Väter, die ihrerseits ihre Gene auf verschiedene Nester verteilt haben.
Autor war Mitbegründer der Grünen in der DDR
Das Buch liefert auch grössere Zusammenhänge. So erfährt die Leserin, dass der Klimawandel die Vögel zu häufigen Partnerwechseln drängt. Denn mit der genetischen Vielfalt steigen die Chancen, dass sich die Nachkommen an die neuen Bedingungen anpassen können. Der Wissenschafter Dörfler sorgte bereits 1986 für Furore, weil er den Einsatz von synthetischem Dünger kritisierte.
Sein Buch «Zurück zur Natur» wurde zur Kultlektüre der ostdeutschen Umweltbewegung und Dörfler selbst Mitbegründer der Grünen Partei in der DDR.
Extravaganzen der Haubentauchermännchen
«Das Liebesleben der Vögel» bietet zwar weniger politischen Sprengstoff, dafür umso mehr Unterhaltung. So nimmt Dörfler auch die Schönheitsideale der Vögel unter die Lupe, und er erklärt, warum es bei Rauchschwalben durchaus auf die Grösse ankommt: Die Männchen mit den längeren Schwanzfedern haben das bessere Immunsystem, was die Weibchen instinktiv wissen.
Dörfler berichtet auch von queeren Vögeln wie dem Haubentaucher, dessen Männchen oft in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften umherziehen. Bei gesellig lebenden Vögeln komme dies häufiger vor als bei eigenbrötlerischen Arten. Trotz grossem Wissen bewahrt sich Dörfler ein Staunen über die Natur.
Das zeigt sich etwa, wenn er die anmutige Choreografie einer «Schwanenhochzeit» beschreibt, bei der sich die treuen Partner nach einträchtigem Nebeneinanderherschwimmen einander gegenüberstellen und mit eleganten Halsbewegungen herzförmige Bilder entstehen lassen. Seine Berichte sind mit Anekdoten aus der Forschung oder eigenen Erlebnissen gespickt. So erzählt Dörfler, wie er am Wegesrand ein verlassenes Schwanenei fand und dies kurzerhand mit nach Hause nahm, um es zu verspeisen. Geschmacklich habe es ihn allerdings nicht überzeugt.
Buch
Ernst Paul Dörfler
Das Liebesleben der Vögel
235 Seiten
(Hanser 2024)