Sachbuch - Musiker im Nationalsozialismus
Das Buch «Musik und ‹Drittes Reich›» hält äusserst aufschlussreiche Dokumente bereit – aus zufälligen Antiquariatsfunden.
Inhalt
Kulturtipp 12/2012
Fritz Trümpi
«Ich erlaube mir heute, ein im Volkston gehaltenes Lied zu übersenden, welches ich auf Anregung des Herrn Staatskommissars Gauleiter Josef Bürckel komponiert habe.» Mit diesen Worten versuchte sich Franz Lehár im Juni 1939 beim Musikverantwortlichen von Goebbels Propagandaministerium einzuschmeicheln. Opportunismus ist dem damals 69-jährigen Operettenkomponisten – seine «Lustige Witwe» gehörte zu Hitlers erklärten Lieblingsstü...
«Ich erlaube mir heute, ein im Volkston gehaltenes Lied zu übersenden, welches ich auf Anregung des Herrn Staatskommissars Gauleiter Josef Bürckel komponiert habe.» Mit diesen Worten versuchte sich Franz Lehár im Juni 1939 beim Musikverantwortlichen von Goebbels Propagandaministerium einzuschmeicheln. Opportunismus ist dem damals 69-jährigen Operettenkomponisten – seine «Lustige Witwe» gehörte zu Hitlers erklärten Lieblingsstücken – nicht zu unterstellen. Es war eher ein grundsätzliches Einverständnis mit den Nazi-Machthabern: Lehár war nur einer von unzähligen Musikern, der dem NS-Regime ergeben huldigte und sich «sehr parteikonform» verhielt, wie die beiden Autoren Ulrich Drüner und Georg Günther in ihrem neuen Buch «Musik und ‹Drittes Reich›» festhalten.
Eine Rundumschau
Die Autoren treten in ihrem Band über Musik im Nationalsozialismus mit einem hehren Ziel an: «In diesem Buch wird versucht, wirklich hautnah an die Arbeit der Musiker und Musikwissenschaftler im ‹Dritten Reich› heranzukommen.» Tatsächlich warten sie mit einer ungemein breiten Quellensammlung auf. Die lockere Aneinanderreihung von zahllosen Themenbeispielen dürfte am fast grenzenlosen Umfang ihres Gegenstandes liegen: Die Autoren beschäftigen sich mit Dokumenten, die ihnen im Laufe ihrer langjährigen Tätigkeit als Musikantiquare zufällig in die Finger gekommen sind. Daraus entstand eine umfassende Rundumschau zum Musikbetrieb des Nationalsozialismus, die sich von diesen unzähligen quellenbezogenen Einzelbeispielen herleitet.
Ulrich Drüner und Georg Günther erörtern beispielsweise die Umfunktionierung alttestamentlicher Stoffe bei Händel zu nationalsozialistischen «Freiheits-oratorien» ebenso wie die Geschichte der Ausstellung «Entartete Musik». Ein langes Kapitel thematisiert ausserdem den «wissenschaftlichen» Rassenwahn in der Musik.
Der Band beschäftigt sich aber nicht nur mit der Täterseite. Unter dem Titel «Flucht in ideologiefreie und kirchliche Räume, innere Emigration und Widerstand» präsentieren die Autoren eine Reihe von Beispielen, in denen sich Künstler der Doktrin des Nationalsozialismus verweigerten oder sich zumindest in verdeckter Distanz zu ihr verhielten.
Die Exil-Existenzen
Verdienstvollerweise bringen die Autoren im Buch auch die nach wie vor unterbeleuchtete, aber oftmals verheerende Exil-Existenz der Vertriebenen und Geflüchteten zur Sprache: «Das Ende vom Lied ist, dass ich als Komponist-Pianist hier nicht einmal anständig leben kann», klagte etwa der nach New York emigrierte Béla Bartók in einem Brief an einen Musikverleger im April 1941. Entfremdung, Zerrüttung und Verzweiflung dominierten das Leben im Exil, wie der Band ungeschönt dokumentiert.
Insgesamt würde sich das Buch durch einen hohen Informationsgehalt auszeichnen, wäre es in editorischer Hinsicht sorgfältiger gestaltet: Gerade weil Drüner und Günther mit einem hohen biografiegeschichtlichen Anspruch zu Werke gehen, würde man zumindest ein beigefügtes Personenregister als Suchhilfe erwarten – ein solches fehlt jedoch enttäuschenderweise.