Sachbuch: Im Rhythmus der Wellen
Die Autorin und Ex-Profischwimmerin Bonnie Tsui erzählt in «Warum wir schwimmen» von der Faszination des Schwimmens und macht Lust aufs Wasser.
Inhalt
Kulturtipp 17/2022
Gregor Szyndler
Die titelgebende Frage wird auf 300 süffigen, erhellenden Seiten aus verschiedenen Warten angegangen: Da geht es um olympische Rekorde, um das Paradox, warum so viele Meeresanwohner nicht schwimmen können, um die «Frage des Strandzugangs für Schwarze» in den USA der 50er-Jahre und um die «Musikalität des Schwimmens». Um die Rhythmen der Wellen, Strömungen, Fische und um den «Flow» der Schwimm- und Atemzüge. Und um das Lied &laq...
Die titelgebende Frage wird auf 300 süffigen, erhellenden Seiten aus verschiedenen Warten angegangen: Da geht es um olympische Rekorde, um das Paradox, warum so viele Meeresanwohner nicht schwimmen können, um die «Frage des Strandzugangs für Schwarze» in den USA der 50er-Jahre und um die «Musikalität des Schwimmens». Um die Rhythmen der Wellen, Strömungen, Fische und um den «Flow» der Schwimm- und Atemzüge. Und um das Lied «The Swimming Song» des Songwriters Loudon Wainwright III – die passende Musik fürs Trocknen auf dem Strandtuch. Mit Begeisterung fürs Wasser und Verständnis für Wasserscheue schreibt Tsui von der «Verführungskraft des Wassers» und vom Schwimmen als letzte Möglichkeit, um von Handys und der digitalen Dauererreichbarkeit verschont zu bleiben. Doch dem Schwimmen haftet auch etwas Bedrohliches an: «Damals wie heute liegen das Schwimmen und das Ertrinken erschreckend nah beieinander.» Hunderttausende ertrinken jedes Jahr weltweit, wie Tsui schreibt.
Wüstenschwimmer und eine menschliche Robbe
Bereits in frühester Zeit bewegten sich die Menschen im Wasser – schon als die Sahara noch ein Geflecht von Gewässern war. 1933 wurde dort die «Höhle der Schwimmer» entdeckt, an deren Wänden sich Abbildungen von Schwimmern finden. So konnte, lange bevor Fossilien den endgültigen Nachweis lieferten, bewiesen werden, dass die Sahara einst voller Seen und Gewässer gewesen sein muss. Besonders faszinierend sind Tsuis Berichte über «die menschliche Robbe», einen Fischer aus Island. Er überlebte sechs Stunden im eiskalten Wasser und schwamm mehr als fünf Kilometer, bevor er Land erreichte. Als «Selkie» – ein Fabelwesen, halb Mensch und halb Seehund – hat er es zu Ruhm gebracht. Seine Geschichte wurde verfilmt, und er wird in seiner Heimat in einem Atemzug mit Sängerin Björk genannt. Nebst ausserordentlichen Schwimmkünsten rettete ihm eine 14 Millimeter dicke Fettschicht das Leben. Ihm zu Ehren gibt es einen Wettbewerb, bei dem die Teilnehmer in Kleidung sechs Kilometer schwimmen. Tsui nimmt uns auch mit nach Japan an ein ganz besonderes Turnier – dort schwimmen moderne Samurais in 20 Kilogramm schweren Rüstungen. Dass dies andere Schwimmlagen erfordert als Kraul-, Brust- oder Rückenschwimmen, leuchtet ein.
Sommerlektüre auch für Landratten
Der Einfallsreichtum der Samurais treibt bunte Blüten. So besteht eine Technik darin, mit den Unterschenkeln Kreiselbewegungen zu machen und sich seitwärts «stehend» im Wasser fortzubewegen: «Wenn man gut im stehenden Schwimmen ist, […] kann man im Wasser alles Mögliche tun: sich der Kalligrafie widmen, ein Gewehr laden und abfeuern oder mit dem Schwert kämpfen», schreibt Tsui. «Warum wir schwimmen» ist für Amphibien, Landratten und Delfine die perfekte Sommerlektüre. Das Buch entlockt den einen ein «Warum tut man sich das an?» (50 Kilometer durch Hai-Gewässer oder nach Sibirien schwimmen) und den anderen ein «Das mache ich heute auch mal wieder!» (ein paar Kilometer im Fluss schwimmen und Fische beobachten). Dass die Autorin selbst Profischwimmerin war, merkt man dem Buch ebenso an wie ihre Liebe für die Literatur. So gibt sie auch jede Menge Lesetipps, mit denen Wasserratten das Thema vertiefen können.
Bonnie Tsui
Warum wir schwimmen
Aus dem Engl. von Susanne Dahmann
320 Seiten (HarperCollins 2022)