An sich ist die Sache klar. Da ist der Homo sapiens, kein besonders wichtiger Organismus, der sich aber als Mittelpunkt, als Mass, als Herrscher der Natur sieht. Ein Primat, der sich selbst hoffnungslos überschätzt und der tatkräftig den eigenen Untergang betreibt.
Die Welt wird ihn überleben, wie sie die Dinosaurier überlebt hat. Der Mensch wird wohl verschwinden. Es sei denn, er kriegt noch die Kurve.
Mit diesem Gedanken eröffnet der deutsche Schriftsteller und Kulturhistoriker Philipp Blom sein neues Buch «Die Unterwerfung – Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur». Blom ist in der Erforschung von Krisen bewandert. In seinem Werk «Die Welt aus den Angeln» beschreibt er die Entstehung der modernen Welt aus der Kleinen Eiszeit des 16. und 17. Jahrhunderts. «Der taumelnde Kontinent» handelt vom Weg Europas im Ersten Weltkrieg, «Die zerrissenen Jahre» von jenem im Zweiten Weltkrieg.
Gilgameschs Ehrgeiz und Scheitern
Jetzt geht es um einen anderen Krieg: jenen, den wir Konsumbesessenen seit langer Zeit gegen die Natur führen und der «Ausdruck eines kollektiven Wahns» ist, wie Blom schreibt. Er sei Zeichen «der vollkommen entfesselten Idee, der Mensch (das Maskulinum ist bewusst gewählt) stehe ausserhalb und über der Natur und könne, ja müsse sie unterwerfen».
Die Idee ist alt. Sie führt bis ins 6. Jahrtausend vor unserer Zeit, zum Helden Gilgamesch: Dieser muss im Kampf alle besiegen und die Zedern der Götter zu Bauholz machen, scheitert aber beim Versuch, das ewige Leben zu erlangen. Seine mesopotamische Welt schildert Blom im ersten Teil «Mythos» und räumt mit der romantischen Idee auf, frühere Völker hätten stärker im Einklang mit der Natur gelebt. Es mangelte ihnen bloss an «technologischer Reichweite ».
Der Mensch als Modell der Vorsaison
Mit der im babylonischen Exil im 6. Jahrhundert vor Christus ausformulierten Bibel wird die Unterwerfung der Natur zum göttlichen Auftrag. Mit der Ausbreitung des Christentums und mit seiner Installierung als römische Staatsreligion gewinnt dieser Auftrag enorm an Macht. Die moderne Seefahrt, die Eroberung der Kolonien, Waffentechnik und Industrialisierung: Sie tragen über die Jahrhunderte das Ihre bei. Im zweiten Teil schildert Blom die Etappen dieses Wegs anschaulich, immer mit dem Blick darauf, was im Rausch des Fortschritts an alternativen Entwicklungen verschüttet wird.
Die Welt als Uhrwerk, zuerst mit Gott, dann mit dem Menschen als oberstem Uhrmacher: Das ist eine Lieblingsvorstellung dieser Jahrhunderte. Hier setzt Philipp Blom an, wenn er im dritten Teil «Kosmos» skizziert, worauf es heute ankommt. Er erzählt von Spinoza, der von der Verbundenheit allen Seins spricht, von Alexander von Humboldt, der die Welt als Gesamtes beschreiben will: Es ist das Denken in Netzwerken, dem sie sich annähern.
Dieses Denken zeigt den Menschen als einen zutiefst symbiotischen Organismus. «Der Mensch als souverän, rational Handelnder entpuppt sich als ein Modell der Vorsaison», erklärt Blom. Und er zitiert Montaigne, der sich darüber wunderte, dass sich so ein Geschöpf, «welches nicht einmal über sich selbst Herr ist, einen Beherrscher und Regenten der ganzen Welt nennt».
Philipp Blom - Die Unterwerfung – Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur
363 Seiten (Hanser 2022)