Der Künstler entdeckte das Selfie vor 500 Jahren. Albrecht Dürer malte sein Selbstporträt auf ein Altarbild, das ihm der wohlhabende Frankfurter Kaufmann Jakob Heller in Auftrag gegeben hatte. Dürer stellte sich mit langem Haar wie Christus dar, um damit seine religiöse Verbundenheit mit dem Auftraggeber zu unterstreichen. Doch es ging dem Künstler um mehr: «Sein Selbstbildnis verweist auf einen Mann, der weitgehend unabhängig arbeitete und für seine Kunst anerkannt und in Erinnerung gehalten werden wollte.»
Mit diesen Worten charakterisiert Ulinka Rublack den wichtigsten deutschen Renaissancekünstler in ihrem neuen Buch «Dürer im Zeitalter der Wunder». Die Autorin ist Historikerin an der Universität Cambridge und fällt immer wieder durch ihre ungewöhnliche Geschichtsschreibung auf, unlängst mit einem Werk über die Bedeutung der Mode in der frühen Neuzeit.
Wertsteigerung durch gezielte Informationen
Nun stellt sie Dürer und sein Werk in den gesellschaftlichen Kontext in einer Zeit der radikalen Umbrüche: Europa stand im Zeichen des Merkantilismus, die Handelsströme umfassten den gesamten Globus, was weit verbreiteten Wohlstand versprach. Doch die Wirren der Reformationskriege führten in Europa immer wieder zur Zerstörung der neuen Strukturen. Dürers Lebensgeschichte steht dafür exemplarisch.
Er war ein Lutheraner, haderte aber mit den religiösen Umwälzungen, als sie sich zu sozialer Rebellion ausweiteten und ihn existenziell bedrohten. Ulinka Rublack berichtet anhand der Briefe von Albrecht Dürer an Jakob Heller über die Arbeitsweise der Künstler zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Hellers Name ging typischerweise sprichwörtlich in die deutsche Sprache ein – mit dem geflügelten Wort «Heller und Pfennig», wie Rublack schreibt. Denn Heller wollte zwar mit dem Altarbild ein ewiges Leben für sich und seine Frau im Jenseits sichern, aber bitte nicht um jeden Preis.
Dürer wiederum wollte für seine Leistung ansprechend entschädigt werden: So berichtete er Heller, dass er dem Bischof von Breslau eine Madonnentafel für 72 Gulden verkauft habe, was Rublack heute für eine unwahrscheinlich hohe Summe hält: «Durch das Erfinden von Informationen über den Verkauf trug Dürer dazu bei, seinen Wert zu steigern.» So verlangte Dürer schliesslich einen Verkaufspreis von 200 statt 130 Gulden für das Altarbild, was Heller rundweg ablehnte.
Dürer blieb ihm nichts schuldig, reduzierte kurzerhand die Anzahl der Heiligen auf dem Bild und ersetzte einige durch Putten, die er nach Schablonen malen konnte. Allerdings war Dürer nicht der Einzige, der an diesem Werk arbeitete, einzelne Teile werden Matthias Grünewald zugeschrieben. Auftraggeber Heller konnte die Künstler also gegeneinander ausspielen.
Teilweise Zerstörung des Altars durch Brand
Die Arbeit dauerte jahrelang: von 1507 bis 1511. Der Hauptteil des Triptychons ist heute nur noch als Kopie aus dem 17. Jahrhundert erhalten. Ein bayerischer Herzog kaufte es 1614 Frankfurter Dominikanern ab, als sie wegen der Reformation in finanzielle Nöte gerieten.
Bei einem Brand der Münchner Residenz 1724 wurde der Altar dann leider teilweise zerstört. Der erhaltene Dürer-Teil des zusammengesetzten Werks befindet sich heute im Historischen Museum Frankfurt, Grünewalds Arbeiten sind im Städel-Museum und in der Kunsthalle Karlsruhe zu sehen.
Buch
Ulinka Rublack
Dürer im Zeitalter der Wunder
Aus dem Engl. von Nastasja Dresler
640 Seiten (Klett-Cotta 2024)